Archivalie des Monats: Notgeld zum „deutsch-hanseatischen Kolonialgedenktag“

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In der Reihe "Archivalie des Monats" stellt das Deutsche Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte seit Januar 2023 alle vier Wochen einen besonderen Schatz aus dem Archiv vor. Im Februar 2024 schlägt der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Alexander Reis ein Album auf, in dem Notgeld aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts gesammelt wurde.

Im Archiv des Deutschen Schifffahrtsmuseums befindet sich ein Notgeldsammelalbum (Sign. III A 03943) vom Beginn der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Wie die übrigen Scheine des Albums gehören die hier Vorgestellten zu sogenannten Serienscheinen und nicht zu Notgeld in eigentlichen Sinn. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde von der Reichsbank das klassische Notgeld ausgegeben, denn das Münzgeld, dessen Edelmetallwert den des Nominalwerts überstieg, wurde staatlicherseits für Kriegszwecke eingeschmolzen oder von privater Seite gehortet. Das Seriennotgeld wurde schließlich auch von eigentlich nicht befugter privater Seite in zum Sammeln anregenden Serien ausgegeben, was aber nicht mehr Zahlungsmittel, sondern ein reines Sammelobjekt darstellte. Neben dem mehrfachen Vorkommen gleicher Nennwerte zeichnen sich diese Serien zudem durch ungebräuchliche Wertstufen aus. In Buchhandlungen aber auch anderen Geschäften waren die Scheine zu bekommen. Erstmals ergab sich damals auch eine neue Art des Sammelns von Motiven, Darstellungsweisen oder Drucktechniken. Die gleichzeitig damit geschaffene Erinnerungskultur zur deutschen Geschichte diente bevorzugt als politisches Propagandamittel - in diesem Fall koloniale Propaganda. Fehldrucke waren bei der raschen, preisgünstigen Herstellung durchaus üblich, wie etwa durch verschobene Druckplatten, wovon die Vorderseite eines Exemplars aus dem Schifffahrtsmuseum zeugt (Abb. 1).
Die Scheine von zehn auf sieben Zentimeter Größe gehören zu zwei Serien von jeweils sechs Stück, die Ansichten von Orten und Landschaften ehemaliger Kolonien sowie Portraits von Personen, welche für die Geschichte der deutschen Kolonien von Bedeutung waren, zeigen (https://www.dsm.museum/open-histories/). Die Vorderseiten tragen neben dem Nominalwert im unteren Drittel des Bildfelds vor allem eine Ankündigung zu einem „deutsch-hanseatischen Kolonialgedenktag“ in Hamburg, Berlin und Bremen.Eine Serie zeigt die Karte Afrikas mit Bezeichnung der ehemaligen deutschen Kolonien sowie am unteren Bildrand zwischen Blattmotiven Kartenausschnitte mit den weiteren, als „Kiautschau“ und „deutsche Südseeinseln“ bezeichneten Kolonien (Abb. 1). Zwei Palmenbäume rahmen rechts und links die Darstellung.
Die zweite Serie zeigt auf der Vorderseite eine Palme vor der über dem Meer aufgehenden Sonne, flankiert von den Stadtwappen Hamburgs und Bremens (Abb. 2). Drei Jahreszahlen 1682, 1884 und 1918, welche die Sonnenstrahlen umgeben, markieren Zeitpunkte deutschen kolonialen Engagements in Afrika: Im Jahr 1682 wurde die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie gegründet, die in der zweiten Hälfte der 1680er Jahre Handelsstützpunkte in Afrika und der Karibik errichtete. Ab 1884 gab es einen kaiserlichen Kommissar in Kamerun, und mit dem Ende des Ersten Weltkriegs fielen die Kolonien endgültig an die Siegermächte.
Auf den Rückseiten der Scheine wird in rechteckiger Rahmung mit der Wertangabe in den Ecken jeweils der Name der Kolonie in der oberen Rahmenleiste, der Name der abgebildeten Örtlichkeit in der unteren Leiste genannt (Abb. 3). Die Bildvorlagen wurden vor allem durch die Ergänzung von Personen und Gebäuden leicht verändert. Besonders augenfällig ist dies etwa beim Blick auf die Abbildung der „Iltisberge“, in der das Tor des Tempels des „Stadtgotts“ von Kiautschau zentral im Vordergrund platziert wurde, um durch den ostasiatischen Baustil die Landschaft noch sinnfälliger zu verorten (Abb. 3, 4, 5). Die Abbildungen sollten aus damaliger Sichtweise einerseits die Landschaft mit ihrer charakteristischen Flora und der Lebenswelt der indigenen Bevölkerung den Betrachtern nahebringen und andererseits positive Erscheinungen deutscher Kolonialherrschaft transportieren, mittels der Abbildung von Gebäuden wie z. B. dem Strandhotel in Kiautschau (Abb. 4).
Auf den Rückseiten der anderen Serie sind unter ihren Namen Portraits von Personen, die an der Einrichtung und Festigung deutscher kolonialer Herrschaft in Afrika maßgeblich beteiligt waren, veröffentlicht sowie ein Portrait Reichskanzlers Otto von Bismarck, der mit der Einberufung der Berliner Kongo-Konferenz 1884 auch politisch den Weg für die Gründung deutscher Kolonien ebnete. Bis auf Bismarcks Bild, das von Eichenlaubzweigen gerahmt wird, sind Nutzpflanzen aus den Kolonien dargestellt: Bananenstauden, Kokos- und Dattelpalmen, Tabak und Kakao. In diesen Dekorzonen findet sich in der Regel die Signatur „Kleinschmidt“. Für Künstler war die Gestaltung von Serienscheinen damals eine willkommene Gelegenheit an Aufträge zu gelangen, wobei sich zudem die Möglichkeit ergab, überregional bekannter zu werden. Möglicherweise lieferte der zu dieser Zeit in Berlin lebende Paul Kleinschmidt die Entwürfe für die Scheine.

Hamburg und Bremen waren als Hafen- und Handelsstädte, deren Kolonialwarenimporteure, und -händler, Reedereien und Hafenunternehmen zur Einrichtung und Ausbeutung der deutschen Kolonien beigetragen hatten, von besonderer Bedeutung in der Etablierung des revisionistischen Erinnerns an die früheren Kolonien. Denn an beiden Orten liefen die Fäden kolonialer wirtschaftlicher Erschließung zusammen, einhergehend mit einer Inszenierung und Legitimierung Deutschlands als Kolonialmacht. Ferner gab es auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Erforschung der Kolonien in Hamburg etwa das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin oder das Kolonialinstitut. Nach Bremen gelangten zahlreiche ethnologische Objekte aus den Kolonien mit umfangreicher Hilfe der Reederei Norddeutscher Lloyd in die Sammlungen des Überseemuseums.

Der auf den Scheinen unter „Geschäftsführung“ genannte Franz Grewe schrieb 1921 an den Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft in Berlin. Grewe stellte sich einen „deutsch-hanseatischen-Kolonialgedenktag“ mit Vorträgen in Bremen, Hamburg und Berlin vor, organisiert von der Kolonialgesellschaft. Die geschätzten Kosten wollte er durch den Verkauf von jeweils zehntausend der oben beschriebenen Serien zu je viereinhalb Reichsmark decken und hoffte sicher auch auf einen Gewinn für sich. Die Kolonialgesellschaft äußerte jedoch Bedenken und es kommt zu keiner Zusammenarbeit, so dass Grewe die Scheine selbst drucken ließ. Ob Grewe überhaupt noch eine Kolonialveranstaltung mit Gastrednern bis zum 31. März 1922 durchführte, muss daher offenbleiben. Wie viele Exemplare bis wann zum Verkauf gelangten, ist ebenfalls unklar. Das Druckverbot von Serienscheinen durch die Reichsbank am 17. Juli 1922 ließ schließlich auch das Interesse am Sammeln der Scheine rasch abebben.

 

Bildunterschriften

Abb. 1, 2 Vorderseiten der Serienscheine zum „deutsch-hanseatischen Kolonialgedenktag“.

Abb. 3 Rückseite eines der Serienscheine mit der Ansicht von Tsingtau.

Abb. 4, 5 Bildvorlage zu Abb. 3

[aus K. Schwabe (Hrsg.) unter Mitwirkung von F. Behme u.a., Die deutschen Kolonien. Bd. 2. Deutsch-Ostafrika, Kaiser-Wilhelmsland und die Inselwelt im Stillen Ozean, Samoa, Kiautschou (Berlin 1910)].

 

 

Eine Notgeld-Banknote.

Vorderseiten der Serienscheine zum „deutsch-hanseatischen Kolonialgedenktag“.
Foto: DSM Archiv

Eine Notgeld-Banknote.

Vorderseiten der Serienscheine zum „deutsch-hanseatischen Kolonialgedenktag“.
Foto: DSM Archiv

Eine Notgeld-Banknote.

Rückseite eines der Serienscheine mit der Ansicht von Tsingtau.
Foto: DSM Archiv

Eine Notgeld-Banknote.

Bildvorlage zu Abb. 4
Foto: DSM Archiv

Eine Notgeld-Banknote.

Bildvorlage zu Abb. 4
Foto: DSM Archiv

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