Archivalie des Monats: Der Bordbuchhändler Paul Lachmann

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In der Reihe "Archivalie des Monats" stellt das Deutsche Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte monatlich einen besonderen Schatz aus dem Archiv vor. Für den März erforschte die Provenienzforscherin Dr. Kathrin Kleibl zwei Seefahrtsbücher des Bordbuchhändlers Paul Lachmann, der für die „Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer“ auf der BREMEN und EUROPA tätig war.

Der Norddeutsche Lloyd (NDL) bemühte sich Anfang des 20. Jahrhunderts um eine Modernisierung seiner Passagierschiffe. Eine dieser Neuerungen war die Einrichtung von Bordbibliotheken und Bordbuchhandlungen. Im Jahre 1905 übernahm Franz Leuwer, der eine florierende Buch- und Kunsthandlung in Bremen unterhielt, mit einem Exklusivvertrag zahlreiche Passagierschiffe des NDL entsprechend mit Büchern zu beliefern – so etwa die Schiffe SIERRA MORENA, SIERRA CORDOBA, COLUMBUS, BREMEN und EUROPA. Jedes dieser Schiffe beherbergte in sich abgeschlossene Bibliotheken. Zusätzlich betrieb Leuwer auf diesen Schiffen auch Buchhandlungen, die von Buchhändlern aus seinem Unternehmen geführt wurden.

Von einem der dort tätigen Bordbuchhändler - Paul Lachmann - haben sich zwei Seefahrtsbücher im Archiv des Deutschen Schifffahrtsmuseums erhalten (Sign. III A 01317-11). Jede Person, die einer Schiffsbesatzung angehörte, musste ein Seefahrtsbuch besitzen, in das jede An- und Abmusterung eingetragen wurde. Seefahrtsbücher entsprachen einem Ausweisdokument und dienten unter anderem der Identifikation des Inhabers bzw. der Inhaberin und berechtigt auch zum Grenzübertritt, was bei Seereisen meist der Fall war. In den Seefahrtsbüchern befand sich so neben einer kurzen Personenbeschreibung auch ein beglaubigtes Lichtbild des Inhabers bzw. der Inhaberin.

Hugo Paul Lachmann wurde am 27. März 1900 in Berlin geboren. Er war laut der beiden Seefahrtsbücher als Buchhändler von 1929 bis 1938 unter dem bekannten Kapitän Leopold Ziegenbein, dann 1938 unter Kapitän C. W. Hagemann, und 1939 unter Kapitän Adolf Ahrens auf der BREMEN (zwischen Bremerhaven und New York bzw. um Südamerika) und 1939 unter Kapitän Oskar Scharf auf der EUROPA (zwischen Bremerhaven und New York) tätig. Seine letzte Abmusterung erfolgte am 4. September 1939.

Lachmanns Arbeitgeberin - die „Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer“ - wurde seit dem Ableben Leuwers 1916 von dessen Witwe Johanna (Anni) Leuwer weitergeführt. Nur kurze Zeit nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 und der Bekanntgabe der „Nürnberger Rassegesetze“ wurde Anni Leuwer als „Jüdin“ verfolgt.  Auf Drängen des gleichgeschalteten NDL zwang man sie schließlich 1937, die Buch- und Kunsthandlung an ihren Mitarbeiter und Prokuristen Carl Emil Spiegel zu überschreiben; in diesem Zusammenhang sprach man von der „Arisierung“ eines Unternehmens. Nicht nur aus dem Geschäftsleben wurde die ehemalige Chefin verdrängt, sondern auch privat entrechtet und diskriminiert. Mit vielen anderen Verfolgten aus Bremen und dem Umland wurde sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 8. Februar 1943 aufgrund menschenunwürdiger Lebensverhältnisse an Unterernährung verstarb.

Den für die „Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer“ tätigen Bordbuchhändler Lachmann zog die Wehrmacht nach Ausbruch des 2. Weltkriegs im September 1939 ein; damit enden auch die Einträge in seinem Seefahrtbuch. Spiegel unterstützte zu diesem Zeitpunkt seine zum Kriegsdienst eingezogenen Mitarbeiter mit einer freiwilligen finanziellen „Beihilfe“ zur Aufrechterhaltung ihrer Mietwohnungen in Bremen. Hiervon profitierte zunächst auch Lachmann. Obwohl diese „Beihilfe“ von einem „nationalsozialistischen Gedanken“ getragen wurde, war Spiegel selbst wohl nie Mitglied der NSDAP gewesen.

Als sich aber Lachmann Ende Mai 1940 in einem Brief an einen Kollegen bei „Franz Leuwer“ kritisch gegenüber der Kriegsentwicklung und politischen Führung äußerte, wurde ihm die „Beihilfe“ im darauf folgenden Monat von Spiegel kommentarlos gestrichen. Im August 1940 entließ dieser Lachmann kurzerhand mit der Begründung, dass man sich von ihm mit seiner „für den deutschen Buchhandel untragbaren politischen Einstellung und deren Auswirkungen“ nunmehr trennen müsse. Spiegel unterzeichnete das Dokument mit „Heil Hitler!“.

Über das weitere Schicksal Lachmanns stehen uns bisher leider keine weiteren Informationen zur Verfügung. Die „Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer“ in Bremen war in den vergangenen Jahren jedoch immer wieder Gegenstand der Provenienzforschung am Deutschen Schifffahrtsmuseum. Hierzu und zu Ankäufen Spiegels auf sogenannten „Juden-Auktionen“ in Bremen hielt Kleibl 2021 anlässlich des Internationalen Symposions „Der Umgang mit Umzugsgut jüdischer Emigranten in europäischen Häfen“ im Haus der Wissenschaft in Bremen einen Vortrag, der über den YouTube-Kanal des Deutschen Schifffahrtsmuseums abrufbar ist: https://www.youtube.com/watch?v=W8IwwijHpqA.

 

Erste Seite eines Seefahrtbuches.

Seefahrtsbuch 1929-1938. Credit: DSM / Archiv

Seefahrtsbuch

Seefahrtsbuch 1929 bis 1938.
Foto: DSM Archiv

Seefahrtsbuch

Seefahrtsbuch 1939
Foto: DSM Archiv

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