Sensibilität und Spürsinn

Blog | 14.04.2021

Woher kommen die Museumsobjekte und warum ist die Herkunftsgeschichte von Exponaten so wichtig? Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte, Tobias Christopher Goebel, M.A., äußert sich anlässlich des dritten Internationalen Tags der Provenienzforschung am 14. April 2021 zum aktuellen DSM-Forschungsprojekt, das die Kolonialgeschichte des Norddeutschen Lloyds aufrollt.

Dr. Kathrin Kleibl recherchiert die Spuren verschwundener Güter, die einst jüdischen Emigrant*innen gehörten, die Deutschland während des Zweiten Weltkriegs verließen. Ein TV-Beitrag am Mittwoch, 20. April, informiert über dieses und andere Forschungsprojekte zum Thema Herkunft von Kulturgütern.

„Nicht jede maritime Geschichte ist kolonial, aber die meisten Kolonialgeschichten haben eine maritime Seite – auch im Museum“

Das gilt besonders für die Schifffahrtsgeschichte des Deutschen Kaiserreichs. Zwischen 1884 und bis zu den Versailler Verträgen von 1919 unterhielt Deutschland als Schutzgebiete bezeichnete Kolonien in Afrika und Ozeanien, dazu ein quasi-koloniales Marinepachtgebiet in Ostasien. Wer aus Europa dorthin wollte, der reiste mit dem Schiff – und vieles kam mit dem Schiff nach Europa. Neben begehrten Stapelgütern so auch zahlreiche Kulturgegenstände der dort kolonisierten Gesellschaften, welche dann in europäischen Museen beforscht und ausgestellt wurden. So manche davon lagern heute noch verborgen und unkommentiert in den Kisten der Magazine europäischer Museen. Wo kommen die Dinge eigentlich genau her, wie wurden sie erworben? Für diese im kolonialen Kontext oftmals sensiblen Fragen braucht es Provenienzforschung.

Seit dem 1. April 2021 beforscht das DSM die Kolonialgeschichte des Norddeutschen Lloyds (NDL) im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Grundlagen- und Kontextforschungsprojektes. Das Ziel ist nicht nur eine kritische Aufarbeitung der eigenen Bestände, sondern auch neues Wissen über die Rolle der Reederei, über ihre Mitarbeiter und die maritimen Infrastrukturen der Kaiserreichszeit zu gewinnen. Das soll allen Institutionen mit Gegenständen aus Provenienzzusammenhängen mit einem Bezug zum NDL nützlich sein. Kooperationen mit dem Übersee-Museum Bremen, welches seit seiner Eröffnung 1896 eng mit Lloyd-Mitarbeitern zusammenarbeitete, sowie der Südsee-Sammlung Obergünzburg, welche die Privatsammlung des Lloyd-Kapitäns Karl Nauer beherbergt, sind deshalb wichtige Eckpfeiler des Projektes. Darüber hinaus wird das Projekt von einer International Fellow begleitet. Im Fokus stehen zunächst die Gebiete der ehemaligen Südseekolonien des Kaiserreichs.

So könnte das Projekt auch über einige bislang lediglich als Seemannsmitbringsel oder Souvenirs kaum beachtete Einzelstücke am DSM neues Licht ins Dunkel bringen. Eine Podcast-Reihe, die im Rahmen der Mini-Ausstellung "Open Histories" geplant ist, thematisiert erstmals die noch offenen Fragen zu Exponaten. Im Fokus steht auch das oben gezeigte Objekt, eine kunstvoll ausgearbeitete Schnitzerei, die je nach Perspektive des Betrachters an beiden Enden eine Krokodil- oder Menschenkopfdarstellungen aufweist. Es handelt sich um eine Nackenstütze, vermutlich vom Sepikfluss in Neuguinea: Ein äußerst beliebtes Sammlungsgut in der damaligen Kolonie Deutsch-Neuguinea. Ob sie wie so viele andere mit einem Lloyddampfer nach Deutschland kam? Das Projekt zum NDL recherchiert nach Antworten.

Projekt LIFTProv

Dr. Kathrin Kleibl forscht zum Verbleib von Übersiedlungsgütern jüdischer Emigrant*innen aus Hamburg nach 1939. Damit knüpft Kleibl an das Projekt von Susanne Kiel an, das bereits den Verbleib von Hab und Gut von Menschen mit jüdischen Wurzeln nachgeht, die aus Bremen auswanderten. Das Übersiedlungsgut - in sogenannte Lifts und Kisten verstaut - verließ Deutschland mit Frachtschiffen meist über die Häfen Hamburg und Bremen. Das Transportgut wurde von Speditionen in die Häfen gebracht und lagerte dort bis zur Verschiffung.

Ab September 1939 stellte man die zivile Schifffahrt ein, die Gestapo beschlagnahmte ab Frühjahr 1940 die Lifts und „verwertete“ den Inhalt. Die Erlöse gingen an das Deutsche Reich.

Der NDR begleitet Kleibl derzeit bei ihren Recherchen und bereitet einen längeren Fernsehbeitrag vor, der 2022 ausgestrahlt wird. Anlässlich des diesjährigen Tags der Provenienzforschung nehmen die Forscherinnen an der Tagung „ENTZUG, TRANSFER, TRANSIT – Menschen, Objekte, Orte und Ereignisse“ des Arbeitskreises Provenienzforschung teil.

Ein Zusammenschnitt der Diskussion ist am Dienstag, 20. April, um 18 Uhr im Journal Extra, NDR Kultur, zu sehen.

Kontakt Presse

Thomas Joppig

0471 482 07 832

presse@dsm.museum

Nackenstütze aus Holz , figurale Schnitzarbeit aus Papua - Neuguinea , mit rötl. Farbfassungsresten . An den Beinen befinden sich Bastbefestigungen.

Foto: DSM

 

In den Lifts wurde das Übersiedlungsgut an den Häfen gelagert.

Foto: Speicherstadtmuseum Hamburg Gustav Werbeck HHLA Fotoarchiv

.svgNavPlus { fill: #002c50; } .svgFacebook { fill: #002c50; } .svgYoutube { fill: #002c50; } .svgInstagram { fill: #002c50; } .svgLeibnizLogo { fill: #002c50; } .svgWatch { fill: #002c50; } .svgPin { fill: #002c50; } .svgLetter { fill: #002c50; } Universität Bremen