Ein Schiff entsteht
Das geöffnete Werfttor lädt ein, bei den ersten Geburtsstunden im Leben eines Schiffes dabei zu sein – von der Zeichnung bis zum Stapellauf. Beim Passieren des Schiffbugs schrumpfen Besuchende zu Miniatur-Zaungästen in der überdimensionalen Welt aus Stahl und Eisen. Der Themenbereich Schiffbau in der neuen Dauerausstellung macht Lust auf das große Schiffegucken – ein Streifzug durch die Dimensionen des Schiffbaus des 20. Jahrhunderts mit der Kuratorin Deike Reddig.
Vor dem Werfttor stehend, muss man den Kopf in den Nacken legen, um die Bugspitze des Schiffes erkennen zu können. Ganz klar, der Schiffbau des 20. Jahrhunderts spielt mit Superlativen. Selbst die Schiffsmodelle dort sind im Maßstab von 1:100 größer als die meisten der DSM Sammlung, wie die ESSO SCOTIA eindrucksvoll beweist. Dahinter verschafft sich Deike Reddig gerade noch einen Überblick am interaktiven Werftmodell, das die ersten Stationen im Leben eines Schiffes übersichtlich in Miniatur zeigt, bevor es in die „Werft“ geht. „Mit den Farben und dem industriellen Setting erzeugen wir im Ausstellungsraum das Gefühl einer Werft, ein Ort, der vielen Menschen sonst verborgen bleibt.
Wir zeigen den Bauprozess eines Schiffes“, sagt sie. Bereits in ihrer Masterarbeit untersuchte die Kuratorin die Arbeitsbedingungen von Frauen auf Werften. Zu ihrer Freude hat es das Porträt einer Werftarbeiterin in die neue Ausstellung geschafft. „Ich hatte die Chance, für die neue Ausstellung an mein Thema anzuknüpfen und Fakten aus dem Bereich zu erzählen. Eine tolle Möglichkeit, bislang eher unsichtbare Akteur:innen der Schiffbaugeschichte sichtbar zu machen.“
Veränderung der Arbeitstechniken
Überdimensional sind bereits die ersten Grundrisse, wie die Schablonen auf dem Schnürboden beweisen. Die originalen Ausschnitte vom Spantenriss der POLARSTERN machen die Größenverhältnisse klar. Die Veränderung der Arbeitstechniken vom Nieten zum Schweißen sowie die Verlagerung der Produktion nach Fernost spielen ebenso eine Rolle wie die Wende vom analogen zum digitalen Planen. Kurz vor der Fertigstellung dreht sich alles um den wichtigsten Tag im Leben eines jungen Schiffes: den Stapellauf. Schiffstaufen sind feste Zeremonien, die an teilweise sehr alte Rituale gebunden sind. „Der Stapellauf ist sowohl ein sehr technischer als auch ein stark kulturell aufgeladener Moment und ist oft mit der Taufe des Schiffes verbunden“, weiß Reddig und steht nun voreiner Medienstation, an der das Thema vertieft wird. Hier haben auch ungewöhnliche Geschichten Platz. „An dieser Stelle erzählen wir vom Champagner-Scharmützel: Zur Taufe der Kaiserlichen Rennjacht METEOR III sollte am 25. Februar 1902 in New York eigentlich der deutsche Söhnlein-Schaumwein „Rheingold“ verwendet werden. Ein ChampagnerImporteur tauschte die Flascheheimlich gegen einen französischen Champagner von Moët & Chandon aus und löste damit einen regelrechten Skandal aus.
Eine weitere Anekdote schließt sich gleich wenige Meter weiter an. Reddig zeigt auf einen unauffälligen Topf mit einer weichen Substanz: Stapellauffett. Es ist wichtig, damit das Schiff gut ins Wasser gleiten kann. „Im Zweiten Weltkrieg war auch in den USA Fett zeitweise ein rares Gut. So auch, als 1941 die SS CAPE LOOKOUT vom Stapel laufen sollte. Um die Ablaufbahn zu schmieren, wurden statt Fett knapp drei Tonnen Bananen verwendet.
Während Taufe und Stapellauf prestigeträchtige Ereignisse sind, verläuft das Sterben eines Schiffes – das Abwracken – oft verschwiegen im Dunkeln. Doch auch dieser schmutzige Teil gehört zu den Schiffswelten und wird gezeigt. „Häufig landen Schiffe in Südostasien und werden bei Springfluten auf den Strand gefahren. Dort werden sie dann meist unter fragwürdigen Bedingungen zerlegt. Wir wollen auf diese kritischen Aspekte hinweisen“, sagt Reddig.
Die Kuratorin Deike Reddig vor dem Werfttor in der Ausstellung.
Credit: DSM / Annica Müllenberg