Archivalie des Monats: Erinnerungen an China 1900/1901

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In der Reihe "Archivalie des Monats" stellt das Deutsche Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte monatlich einen besonderen Schatz aus dem Archiv vor. Im November erinnert Dr. Alexander Reis an den Boxerkrieg in China.

Im Frühjahr und Sommer 1900 entstand aus der Bewegung der sogenannten Boxer eine Erhebung gegen das europäische koloniale Engagement in China. Der Aufstand speiste sich aus der Religion und Kultur Nordchinas und beruhte auf einer Vielzahl miteinander verflochtener Ursachen. Er fand vor allem unter der Landbevölkerung Unterstützung und verbreitete sich dadurch weit.

Kaiser Wilhelm II. hatte als oberster Befehlshaber die Kommandogewalt über das Reichsheer und die Kriegsmarine inne. Er drängte auf eine schnelle aktive Beteiligung an der Niederschlagung des Aufstands durch ein großes deutsches Truppenkontingent und ordnete die Mobilmachung der Marineinfanterie an. Am 2. Juli befahl der Kaiser dann ein Ostasien-Korps nach China zu entsenden. Bereits in den 1890er Jahre beschrieb Wilhelm China als die „gelbe Gefahr“, eine direkte Bedrohung Europas. Diese Ansicht von einer Gefährdung Deutschlands kam auch in seiner Ansprache an die Werftarbeiter Bremerhavens am 3. August 1900 zum Ausdruck, wenn er von einer Gefahr für das Vaterland sprach.

Die deutsche Beteiligung am Krieg gegen die Boxer führte zur ersten umfassenden Verschiffung deutscher Soldaten von insgesamt über 22.000 Mann mit Ausrüstung und rund 6.000 Pferden. Dieser Transfer von Menschen, Tieren und Material beleuchtet die Beziehungen zwischen den deutschen Reedereien Norddeutscher Lloyd und HAPAG und dem Militär wie auch Aspekte der sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse im Deutschen Reich.

Mit Hilfe von Dampfern, die vom Lloyd und der HAPAG für diesen Zweck umgebaut wurden, wurde der Transport im Sommer 1900 in kurzer Zeit zusammengestellt. Das Militär konnte nämlich auf Schiffe aus dem vom Deutschen Reich subventionierten Reichspostdampferdienst zurückgreifen. Im Fall einer Mobilmachung durften die Schiffe von der Marine gegen Vergütung in Anspruch genommen werden. Bremerhaven war der Haupthafen für den Transport: Vom 27. Juli bis zum 7. September liefen von dort aus acht HAPAG- und zehn Lloyd-Dampfer aus.

Wilhelm II. unterbrach seine üblicherweise im Juli stattfindende Nordland-Fahrt und kam auf seiner Yacht Hohenzollern nach Bremerhaven, um die Schiffsausstattung und die Ausschiffung persönlich zu inspizieren. Das Hafengelände, wo die Einschiffung stattfand, war zwar außer für Angehörige der Soldaten abgesperrt, dennoch fanden sich bei der Ausfahrt der Dampfer Tausende ein. Wegen der vielen Besucher wurden von den Getränkeherstellern an den Truppentransporttagen Trinkhallen, Schankstellen und Schankbuden von Bier und Selterswasser in der Nähe des Verschiffungsorts eingerichtet.

Die Dampfer und Anlagen des Norddeutschen Lloyd bildeten die Kulisse und Bühne für den Redeauftritt Wilhelms II. vor den auslaufenden Mannschaften am Mittag des 27. Juli. Die später als Hunnenrede bekannt gewordene Rede zusammen mit dem Hafen wo maritime Macht, Militarismus und Nationalismus in Szene gesetzt war, trug zur Festigung der damaligen chinesischen Feindbildkonstruktion bei. Die Rede wurde bereitwillig von den Soldaten rezipiert, wie z. B. die Parole daraus „Pardon wird nicht gegeben!“

Eine besondere Vorbereitung auf den bevorstehenden Einsatz in China gab es für die Soldaten nicht und bisherige Vorurteile über Chinesen wurden während der Überfahrt nicht in Frage gestellt. Dieser ausgeprägte Rassismus trat dann beim Einsatz der Deutschen in China offen zu Tage. Über die Bedingungen der Überfahrt gibt es zahlreiche private Dokumente in Form von Kriegstagebüchern. Im Archiv des DSM befindet sich auch das Fragment eines Tagebuchs eines leider nicht mehr namentlich bekannten Angehörigen des zweiten Seebataillons (Abb. 1). In allen Tagebüchern der beteiligten deutschen Soldaten nimmt die Beschreibung der extremen Temperaturen auf den Schiffen während der Überfahrt durch das Rote Meer einen gewissen Raum ein.

In die Truppentransportschiffe wurde versucht, Kasernenleben mit all den ihm eigenen Regularien einzubringen, gewissermaßen „schwimmende preußische Kasernen“ zu schaffen: „So ist unser Schiff für lange Zeit unsere Wohnung und Kaserne geworden.“ schreibt beispielsweise Gustav Paul, Sergeant an Bord der PALATIA bei der Ausfahrt in Bremerhaven. Das Schiff als in sich geschlossenen Ort auf dem unendlichen Meer betont der Kommandeur des Ostasiatischen Expeditionskorps Emil von Lessel am 7. August 1900 an Bord der RHEIN wenn er schreibt: „Man fährt in einer Welt für sich, und niemand ahnt, was sich draußen vollzieht“.

Wegen der Hitze bei der Fahrt durchs Rote Meer organisierten der Lloyd und die HAPAG die Pferdetransporte aus Australien und Amerika. Die schnelle Zusammenstellung der Transporte führte zu Schwierigkeiten, nicht nur wegen der für den Einsatz in China oft ungeeigneten Ausrüstung und Kriegsmaterialien, sondern auch wegen der ungünstigen Beladung der Schiffe in Bremerhaven bei der Ausschiffung im chinesischen Dagu.
Die entsandten deutschen Soldaten trafen allerdings erst nach der Eroberung Pekings durch eine europäische Truppe ein. Ein asymmetrischer Krieg, der nur noch aus sogenannten Strafexpeditionen bestand und nicht mehr zwischen Aufständischen und Unbeteiligten unterscheidet, war die Folge.

Bis zum Peace protokoll am 7. September 1901 wurden dabei hunderte Chinesen unter starker deutscher Beteiligung getötet. Insgesamt gab es nur 65 deutsche Gefallene. Bei der Rückkehr der Truppentransporte aus China ab Mai 1901 (Abb. 2) wurden Kranke und Verwundete in Bremerhaven in 16 eigens errichteten Baracken an der Ostseite des Kaiserhafens versorgt. Kriegervereine in Bremerhaven und der „Vaterländische Frauen-Verein, Bremerhaven“ entschlossen sich, ein Denkmal „den hier verstorbenen Kameraden des Ostasiatischen Expeditions-Corps“ auf dem Friedhof im Bremerhavener Stadtteil Wulsdorf zu errichten, welches 1903 eingeweiht wurde.

 

 

Gemälde des Dampfers STUTTGART.
Foto: DSM / Archiv

Historische Karte Tasmaniens

Eintrag vom 1. Juni 1901 über die Ausschiffung aus China auf der PALATIA in einem Tagebuch eines Angehörigen des zweiten Seebataillons.
Foto: DSM / Archiv

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