Schifffahrt und Umwelt

Zwischen Schifffahrt und Umwelt gibt es viele Wechselwirkungen: Schiffe dienen nicht nur der Meeresnutzung, im Anthropozän tragen sie auch zu globalen und unumkehrbaren Veränderungen der Meere bei.

„The oceans do not exist outside of history“, schrieb der US-amerikanische Historiker W. Jeffrey Bolster vor einigen Jahren. Er kritisierte damit, dass Meere und Ozeane in der Geschichtsschreibung noch immer viel zu oft den Status einer passiven Benutzeroberfläche besäßen und ihre historische Bedeutung somit nur unzureichend erfasst würde. Tatsächlich erscheinen Meere und Ozeane in der historischen Forschung zumeist als Transiträume oder Schlachtfelder, in der Kulturgeschichte häufiger als Sehnsuchtsorte oder kulturelle Projektionsflächen. Ihre Bedeutung für unser Verständnis vom historischen Wandel der Beziehung des Menschen zu Natur und Umwelt aber wurde bislang relativ selten untersucht. Zwar haben sich viele Schifffahrtshistoriker*innen mit der Geschichte von Fisch- und Walfang beschäftigt, doch sie blickten dabei eher durch eine wirtschafts-, technik- oder sozialhistorische Brille. Dabei bestehen seit jeher zwischen dem Menschen und dem größten zusammenhängenden Ökosystem der Erde enge Beziehungen, die nicht nur durch Interessen und Technologien, sondern auch durch die naturräumlichen Eigenschaften des Meeres entscheidend geprägt sind. Wir widmen uns diesem Naturraum Meer und seinen Wechselwirkungen mit dem Menschen in Ausstellungsbereichen und in den Forschungsprojekten „Schifffahrt und Biodiversität im Zeitalter der Globalisierung“ und „Maritime Ressourcen und Technologien“.

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Dr. Sven Bergmann

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Schiffe als Faktoren des globalen Wandels

Am DSM befassen wir uns im Themenfeld 3 (Schifffahrt und Umwelt) besonders ausführlich mit der Umweltgeschichte der Schifffahrt vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart in all ihren Facetten. Vor allem wollen wir zeigen und erforschen, in welcher Beziehung die Schifffahrt zu den Prozessen des globalen Wandels steht: dem Klimawandel, dem Schwund der Artenvielfalt, der Verknappung von Ressourcen, der Ablagerung von nuklearen und chemischen Hinterlassenschaften industrialisierter Gesellschaften. Diese und andere substanzielle Veränderungen des Zustands des Planeten durch den Menschen werden seit der Jahrtausendwende unter dem Stichwort Anthropozän diskutiert. Dabei geht es um nichts weniger als die Ausrufung eines neuen Erdzeitalters, das seine Prägung durch den globalen umweltverändernden Einfluss des modernen Menschen erhalten hat. „Die menschliche Dimension in geologischer Zeit“, wie es der Geologe und Paläobiologe Jan Zalasiewicz in einem Beitrag 2014 ausdrückte, erfasst zwangsläufig auch alle Formen des Wandels in den Meeren und Ozeanen. Indem wir uns im Zuge unserer Neukonzeption der Erforschung von Mensch und Meer verschrieben haben, leisten wir einen Beitrag zum Verständnis des Anthropozäns.

 

Umwelthistorische Dimensionen der Schifffahrtsgeschichte

Vor dem Hintergrund des globalen Wandels müssen wir über Schifffahrt neu nachdenken. Wir erweitern daher das inhaltliche Spektrum der Schifffahrtsgeschichte und erschließen neue Themen für eine weit gedachte, meeresbezogene Geschichtswissenschaft. Im Forschungsschwerpunkt Themenfeld 3 (Schifffahrt und Umwelt) fragen wir nach der Bedeutung von Schiffen und maritimen Technologien jenseits der bekannten Erzählungen. So interessiert uns, welche politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dazu geführt haben, dass Schiffe gezielt zur vermeintlich spurlosen Beseitigung gefährlicher Substanzen, wie Munition aus den beiden Weltkriegen oder industriellem Giftmüll, eingesetzt wurden. In einem eigenen Forschungsprojekt gehen wir aber auch der Frage nach, wie die Schifffahrt im Zeitalter zunehmender globaler Verflechtung seit dem späten 19. Jahrhundert zur Veränderung der marinen Biodiversität beiträgt. Denn der interkontinentale Seehandel begünstgt den unbeabsichtigten Transport von Organismen und damit die Verbreitung invasiver Arten. Aber auch einschlägige Themen wie Fischerei und Walfang kommen auf den Prüfstand. In der Sammlung unseres Museums finden sich neben Zeugnissen des Walfangs des 17. und 18. Jahrhunderts nennenswerte Objekt-, Archiv- und Bildbestände zu Fischerei und Walfang im 19. und 20. Jahrhundert. Die historische Forschung betrachtete sie bislang meist getrennt voneinander. Wir wollen Interessen und Technologien mariner Ressourcennutzung zum einen kulturgeschichtlich daraufhin untersuchen, welches menschliche Verhältnis zum Meer in ihnen zum Vorschein kommt, und zum anderen danach fragen, wie diese Nutzung das Meer als Naturraum unmittelbar beeinflusst hat. Hier eröffnen sich in der Zukunft Kooperationsmöglichkeiten mit naturwissenschaftlichen Herangehensweisen.

Was denken Sie über die Zukunft von Schifffahrt und Umwelt?

In unserer künftigen Ausstellung wollen wir nicht nur auch weniger bekannte Formen der Meeresnutzung, wie den Tiefseebergbau oder die Gewinnung medizinischer Wirkstoffe aus Algen, thematisieren. Vielmehr bilden diese für uns den Ausgangspunkt für eine direkte Ansprache der Besucher*innen. Wir wollen aktuelle Beispiele aus der Forschung und Zukunftspläne für die Meeresnutzung präsentieren und in den Dialog treten: Welche Hoffnungen und Erwartungen verknüpfen wir mit dem Meer? Was halten wir für denkbar, was für machbar? Und in welchem Zustand wollen wir das Meer für die Zukunft bewahren? Es geht uns nicht darum, nur von Verlust und Niedergang zu erzählen, sondern Chancen und Optionen für kommende Zeiten aufzuzeigen. Wir wollen diskutieren, was Nachhaltigkeit im Verhältnis von Schifffahrt und Umwelt bedeuten kann. Im Rahmen der verstärkten Partizipation der Besucher*innen wollen wir nicht zuletzt auch die Arbeit mit Zeitzeug*innen intensivieren, um ein vollständigeres Bild vom Stellenwert des Meeres im kollektiven Gedächtnis zu erhalten und um zugleich besser zu verstehen, was die großen, die bleibenden Fragen im Verhältnis von Mensch und Meer sind.

Weiterführende Literatur

Roberts, Callum M.
The Unnatural History of the Sea
Washington 2008

 

W. Jeffrey Bolster
Opportunities in Marine Environmental History
in: John R. McNeill/Alan Roe (Hg.), Global Environmental History.
An introductory reader, London/New York 2013, S. 53–81.

 

Helmuth Trischler 
The Anthropocene. A Challenge for the History of Science, Technology, and the Environment 
in: NTM Journal of the History of Science, Technology, and Medicine 24/3 (2016), S. 309–335.

 

Jan Zalasiewicz 
Die menschliche Dimension in geologischer Zeit
in: Nina Möllers/Christian Schwägerl/Helmuth Trischler (Hg.), Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde
München 2015, S. 13–18.

 

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