Schiffe als Medien der Generierung von Wissen
Wir erforschen die Bedeutung von Schiffen für die Sammlung von Daten und für die Generierung von Wissen. Denn ohne den Einsatz von Schiffen wüssten wir vieles nicht über unsere Erde.
Schiffe wurden bis weit in das 19. Jahrhundert hinein nicht originär als Forschungsschiffe gebaut. Eine Spezialisierung der Schiffsform und -ausrüstung an extreme Forschungsbedingungen (z. B. für Tiefsee und Polarregionen) zeigt, ob und wie eine Gesellschaft dazu bereit ist, hohe finanzielle Risiken für eine extrem aufwendige Forschungsinfrastruktur einzugehen. Die Anpassung vorhandener Schiffsformen an wissenschaftliche Bedürfnisse, etwa bei den Expeditionen des 18. Jahrhunderts, verdeutlicht, wie maritime Praktiken mit an Land entwickelten Wissensordnungen kollidierten, sich aber auch gegenseitig beeinflussten.
Im Themenbereich „Schiffe als Medien der Wissensgenerierung“ erforschen und zeigen wir, dass Schiffe als Transportmittel, aber auch als „schwimmende Laboratorien“ relevant sind, um Wissen zu erzeugen und zu vermitteln. Auf diese Weise trägt eine maritim gewendete Wissenschaftsgeschichte zu einem grundlegenden Verständnis der Wechselwirkung von Wissen und Gesellschaft bei. In diachroner Perspektive vom 16. bis 21. Jahrhundert analysieren wir die Materialität von Schiffen, ihre Finanzierung, ihren Bau, ihre Konstruktion, die räumliche Differenzierung unterschiedlicher Praktiken an Bord, das Bedienen und (Nicht-) Funktionieren von wissenschaftlichen Geräten während der Fahrt sowie die Zirkulation gewonnener Erkenntnisse im terrestrischen Kontext. Wir gehen der Beziehung zwischen Schiffsbesatzung und Wissenschaftler*innen nach und arbeiten die wirtschaftlichen und politischen Interessensgeflechte heraus, in denen diese in Zusammenarbeit mit Schiffbau- und Geräteingenieuren agieren. Außerdem widmen wir uns dem Zusammenhang zwischen schiffsgebundenem Datensammeln und der Verarbeitung dieses Sammelns an Land. Damit arbeiten wir die Relevanz gesellschaftlich-kultureller Wahrnehmungen und Wertungen in diesen Prozessen heraus.
Erleben Sie Ergebnisse der Forschung und gesammelte Objekte in unserer neuen Ausstellung
Derzeit liegt in dem Forschungsfeld „Schiffe als Medien der Wissensgenerierung“ der Fokus auf dem Zusammenhang zwischen Handelsschifffahrt und musealer Sammlungsgenese Wissen auf Reisen sowie auf der Forschungsschifffahrt im 20. Jahrhundert. Die Ergebnisse beider Forschungsprojekte sind in der neuen Ausstellung räumlich miteinander verbunden zu erleben. Im Obergeschoss, das beide Museumsgebäude miteinander verbindet, wird die Geschichte der mit Schiffen verbundenen räumlichen Wissensbestände dargestellt. Hier zeigen wir, wie und welche ethnographischen und naturkundlichen Sammlungsobjekte durch Seefahrer*innen in die Bestände von Museen gelangten. Davon leiten wir zu einer Forschungsschiffsinstallation in der Ausstellung über. In dieser können Besucher*innen an einem Beispiel aus dem 20. Jahrhundert die Eigenschaften von eisbrechenden Forschungsschiffen und die wissenschaftlichen Tätigkeiten auf ihnen nachzuvollziehen.
Neben diesen aktuellen Projekten planen wir folgende thematische Weiterführungen: Die Etablierung eines Forschungsprojekts zum Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Kenntnis mariner Tier- und Pflanzenarten und Schiffsverkehr im Nordseeraum vom 16. bis 18. Jahrhundert, den Ausbau des Projektbereichs zu Handelsschifffahrt und Sammlungsgenese mit Blick auf kolonialzeitliche Wissensordnungen und die Vertiefung der Forschungen zur Geschichte der Forschungsschifffahrt im 20. Jahrhundert besonders mit Hinblick auf einen deutsch-deutschen Vergleich.
Wir forschen vernetzt und interdisziplinär
Der Forschungsschwerpunkt „Schiffe als Medien der Wissensgenerierung“ verfügt über vielfältige Anknüpfungspunkte zum Schwerpunkt „Schifffahrt und Umwelt“. Die Forschung ist eingebettet in eine enge internationale und interdisziplinäre Kooperation von Wissenschafts- und Technikhistoriker*innen, Soziolog*innen, Meeres- und Polarforscher*innen sowie Kulturwissenschaftler*innen. Wir haben uns dem „practical“ und „material turn“ einer empirischen Wissensforschung verpflichtet und möchten unsere Besucher*innen derart informieren, dass sie historische Fakten reflektiert einordnen können. Wir möchten ein Bewusstsein darüber schaffen, wie Zufälle wissenschaftliche Entwicklungen beeinflussen, wie wissenschaftliche Aussagen entstehen und welche – bislang verkannte – Rolle Schiffe in der Forschung und Wissenschaft spielen.
Weiterführende Literatur
Lynch, Michael und Woolgar, Steve (Hrsg.)
Representation in Scientific Practice
Cambridge/London 1990
Mariss, Anne
“A world of new things”. Praktiken der Naturgeschichte bei Johann Reinhold Forster
Frankfurt/New York 2015
Mills, Eric L.
The Fluid Envelope of our Planet: How the Study of Ocean Currents Became a Science
Toronto 2012
Müller, Dorit und Scholz, Sebastian (Hrsg.)
Raum, Wissen, Medien
Bielefeld 2011
Rozwadowski, Helen M.
Fathoming the Ocean: the Discovery and Exploration of the Deep Sea
Cambridge MA 2005
Sorrenson, Richard
The Ship as a Scientific Instrument in the Eighteenth Century
In: Osiris 11 (1996), S. 221-236
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