Szenografie: Die Kunst des Ausstellens
Christoph Geiger baut Geschichten. Begehbare Geschichten. Als Szenograf am Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte bringt der Absolvent der Hochschule für Künste Bremen (HfK) mit den Kurator:innen, der Werkstatt und externen Partner:innen die Themen der Ausstellungen in den Raum. Für CHANGE NOW! inszenierte er den Kosmos der Schifffahrt im 2800 Quadratmeter großen Erweiterungsbau.
Ein großes Ahoi empfängt die Besuchenden am Eingang des Erweiterungsbaus. Der allseits bekannte Seemannsgruß, der in riesigen Lettern an der Wand prangt, verfehlt seine Wirkung nicht: Der Blick auf Hunderte Schiffe in den Ausmaßen mini bis meterhoch katapultiert direkt in die Hafenwelt. Der Segler von Willi Kuhweide, mit dem er Olympiagold holte, ist in markanter Schräglage im Raum positioniert und befeuert gemeinsam mit dem Rennvierer den Sportsgeist.
Im abstrakten Hafen wird beim Schiffegucken klar: Schifffahrt ist vielfältig. Sie gehört zum Sport, kann ein Hobby sein oder schiebt sich als gigantischer Koloss aus Werften durch enge Wasserstraßen. „Die Schifffahrt ist ein Thema der Superlative, deshalb spielen wir mit den Dimensionen“, sagt Christoph Geiger, Szenograf am DSM. Ein nicht ganz geläufiger Beruf, bei dem die Gestaltung der Ausstellungen und die bauliche Umsetzung zusammenfließen. Inhalt, Exponate, Licht, Grafik, Medien und Sound müssen eine Erzählung ergeben, im besten Fall zu einem körperlichen Erlebnis mit Erinnerungswert werden.
Der Job des 37-Jährigen, der seit 2019 am DSM ist und bereits für KOGGE TRIFFT PLAYMOBIL, SEA CHANGES und KARTEN WISSEN MEER verantwortlich war und die Entwicklung der Lichtinstallation FRAME am Erweiterungsbau steuerte, ist es, die Botschaften des Museums durch die Inszenierung im Raum zu verstärken. „Die Szenografie verantwortet zusammen mit der Kuratierung den Unterschied zwischen Hinstellen und Ausstellen“, bringt es der gebürtige Heidelberger auf den Punkt. Typischerweise startet die Planung mit groben Modellen und Skizzen am PC, die Geiger mit dem Gestaltungsteam und den Kurator:innen entwickelt. Nach elf Monaten Ping-Pong mit allen Beteiligten brachte das Team der DSM-Werkstatt innerhalb von drei Monaten die finalen Entwürfe in den Erweiterungsbau.
Auf 2800 Quadratmetern rollten der Designer und das Ausstellungsteam die Schifffahrt bis in alle Facetten aus. Die Architektur schien wie gemacht für das übergroße Thema. Geiger schöpfte die Perspektiven voll aus und kitzelt die Emotionen der Gäste. „Wir nehmen die Leute mit auf eine Reise und wollen sie zum Staunen bringen, sie überraschen und hier und da auch zum Nachdenken bringen.“ Denn: CHANGE NOW zeigt nicht nur die sonnige Seite der Schifffahrt. Wie der Titel erahnen lässt, blickt man auch in die erschöpften Meere. Die szenografische Antwort darauf sind Grafiken in alarmierendem Rot und Orange und Tetrapoden, die wie Stolpersteine zum Innehalten zwingen.
Als Pragmatiker und Minimalist versucht Geiger Elemente aus vorherigen Ausstellungen zu recyceln. Mit frischem Anstrich fügen sie sich in neuer Funktion in die Schau ein. Sogar die mehr als fünf Meter hohen Buchstaben des Science-Schriftzugs, die ähnlich wie Hollywood-Buchstaben in die Höhe ragen, wurden hausintern gebaut. „Wir haben das Glück, dass wir eine eigene Werkstatt mit verschiedenen Gewerken haben. Sie kennt den Bestand sehr gut und wir machen viel selbst.“
Die tragenden zehn Wände im mittleren Gebäudeteil nutzte der Szenograf für Botschaften: Zehn Thesen, die wie ein überdimensionales aufgeklapptes Buch wirken, verdeutlichen die diversen Rollen der Schiffe. Geiger freut sich, dass an dieser Stelle Erzählung und Raum besonders gut zueinanderkommen. „Entstanden sind begehbare Wissensspeicher, in denen ausgewählte Projekte die Bandbreite des Hauses zeigen.“
Nach Stationen in Stuttgarter, Frankfurter und Berliner Agenturen arbeitet der Absolvent der Hochschule für Künste Bremen (HfK) für seine kreative Tätigkeit am DSM immer wieder mit der HfK zusammen: „Vielleicht liegt es daran, dass meine interdisziplinäre Arbeitsweise ihre Wurzeln in der HfK hat und wir daher auf einer Wellenlänge denken, aber der Dialog mit der Hochschule gibt Gänsehaut. Das ist jedes Mal ein Ideenkick.“
Derzeit ist Geiger mit der neuen Ausstellung DATEN LAUSCHEN beschäftigt, die ab 3. Juni auf der 60 Meter langen Galerie im Erweiterungsbau zu sehen sein wird. Sie ist die künstlerische Fortsetzung des Themas Forschungsschifffahrt. Der Künstler Hannes Rickli übersetzt dafür wissenschaftliche Daten in eine mediale Installation.