Pioniere in Sachen Digitalisierung im Museum
Mit seinem Digitalisierungsteam sucht das Deutsche Schifffahrtsmuseums (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte nach Antworten auf Fragen, die sich viele Museen stellen: Wie kann das Zusammenspiel zwischen historischen Objekten und digitalen Angeboten am besten gelingen? Welche Tools braucht das Museum der Zukunft? Die Methoden, die in den kommenden Jahren am DSM entstehen, sollen zukünftig jedoch nicht nur dort zum Einsatz kommen, sondern auch anderen Museen helfen, attraktive digitale Angebote zu gestalten.
Das DSM im Jahr 2026 – wie gestaltet sich der Museumsbesuch in der Zukunft? Dr. Dennis Niewerth, Leiter des Teams für wissenschaftsgeleitete Digitalisierung am DSM, sieht vorm geistigen Auge Gäste, die ein Schiffsmodell mit dem Smartphone aufnehmen, es über eine App scannen und ganz nah ans Objekt rücken, um versteckte Fakten aufzuspüren und als Erinnerung sogar ein 3D-Modell drucken. Fachleute und Laien stöbern per Mausklick in weltweit zugänglichen Datenbanken und inspizieren die virtuellen Zwillinge von Galionsfiguren, Fotografien oder Schiffsglocken, die aus Platzmangel derzeit im Depot schlummern, vom heimischen Bildschirm aus. Kurzum: Die Gäste entwickeln Schatzsucherqualitäten und forschen eigenständig zu diversen Fragen rund um ein Exponat.
Verborgene Schätze heben, erfahren und ihnen näherkommen als es der Blick durch die Vitrine bisher zulässt – das macht die Digitalisierung möglich. Dr. Dennis Niewerth und seine neue Abteilung ebnen den Weg für diese Ideen. Bei der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz beantragte das DSM erfolgreich die dafür nötige Finanzierung: Bund und Länder stellen in den nächsten drei Jahren in einem ersten Schritt 1,25 Millionen Euro bereit. Als sogenannter „Sondertatbestand“ stockt das Geld den DSM-Haushalt zweckgebunden auf und verankert die Digitalisierungsstrategie fest in der Infrastruktur. Damit gehört sie nun ebenso fest zum Haus wie beispielsweise das Sammlungsmanagement, die Restaurierung oder die Buchhaltung.
Sechs Stellen entstanden am Haus, eine Professur an der Universität Oldenburg ist ausgeschrieben. „Der Sondertatbestand ist ein großer Erfolg für das DSM", sagt Niewerth. Dadurch steige das Haus in der deutschen Museumslandschaft zu einem Big Player im Bereich der Digitalisierung auf. Die Vision des Medienwissenschaftlers: Der virtuelle Weg des DSM soll als „Bremerhavener Methode“ in anderen Ausstellungshäusern Schule machen. „Wir arbeiten wo immer möglich mit freier Software – und halten unsere Eigenentwicklungen benutzerfreundlich und niedrigschwellig. Gerade im Bereich der 3D-Erfassung und -Visualisierung entstehen bei uns Lösungen, die weit über Bremerhaven hinaus anwendbar wären.“ Doch bevor die Methode die Grenzen des DSM verlässt, steht das Team vor der Mammutaufgabe, zahlreiche Objekte der eigenen Sammlung zu fotografieren, zu erfassen und erfahrbar zu machen. Mithilfe verschiedener Scantechniken entstehen beispielsweise 3D-Modelle. Diverse Schiffshalbmodelle der Junge Werft stehen der Öffentlichkeit bereits zur Verfügung. Derzeit hat die Erfassung des Bestands der Reederei Norddeutscher Lloyd mit Geschirr, Schiffsmodellen und Reiseequipment Priorität. Zukünftig erarbeiten die Digital-Experten gemeinsam mit den Kurator*innen passende virtuelle Pendants zu den analogen Ausstellungen. Die Digital-Kuratorin Isabella Hodgson fungiert dabei als Dolmetscherin, die für analoge Ausstellungsformate das ergänzende virtuelle Pendant sucht.
Die Digitalisierung öffnet online Türen und teilt Wissen. Open Data lautet das grenzenlose Ziel – Forschende und Interessierte sollen Kulturschätze leicht und barrierefrei über weltweit zugängliche Datenbanken finden und ganz individuell erforschen und nutzen. Dabei sei das digitale Objekt eine perfekte Ergänzung zum analogen. Ganz anders als der Philosoph Walter Benjamin, der davon ausging, dass die technische Reproduzierbarkeit die Aura eines Kunstwerkes zerstöre, sieht Niewerth in ihr einen großen Mehrwert: „Wir lassen die Exponate sozusagen von der Leine und verlängern sie.“ Aus Vitrinen und Depots befreit, erzählen sie dann viele Geschichten und nicht mehr nur eine, die gerade zum Bezug der aktuellen Ausstellung passt. Die spannenden neuen Methoden laden dazu ein, unbedingt ins Haus zu kommen und das Museum der Zukunft ganz neu zu erfahren.
Mitarbeitende des Digitalisierungsteams und ihre Schwerpunkte
Dr. Alexander Reis - Wissenschaftlicher Mitarbeiter für digitale Dokumentation
Meine Aufgabe im Team Digitalisierung ist …
... in vielen Arbeitsbereichen anzutreffen. So bin ich beispielsweise für die Analyse und Optimierung der Datenhaltung in der Sammlungsdatenbank zuständig, aber auch der Forschungsdaten aus Projekten am Schifffahrtsmuseum. Die Sichtbarmachung und Vernetzung von Sammlungsbeständen des Museums ist der öffentlichkeitswirksamste Bereich.
Wie vielfältig wird der Museumsbesuch zukünftig ausfallen?
Der Museumsbesuch wird für viele zukünftig zuhause auf der Museumsseite im Internet beginnen. Als schöner Auftakt zum eigentlichen Besuch wird man sich Wertvolles, wie Schiffsmodelle auch in 3D bis in kleinste Details heranzoomen und in übersichtlich nach Sachbegriffen gegliederte Sammlungen im Depot mit wenigen Klicks eintauchen können.
Im Museum selbst werden noch viele weitere digitale Angebote zur Wissensvermittlung an verschiedenste Besuchergruppen entstehen. Zu jedem Exponat wird es unterschiedliche Themen auf vielfältigste Weise digital zu entdecken geben. Der Blick auf die Originale wird damit noch weiter geschärft und den Originalen noch mehr Aura verliehen.
Luca Junge - Mitarbeiter 3D-Erfassung und Bildgebung
Meine Aufgabe im Team Digitalisierung ist …
... das Entwickeln und Programmieren von interaktiven Web-Anwendungen für die Besucher*innen des Museums. Sowohl zur Nutzung auf Smartphones und Tablets während des Museumsbesuchs als auch zuhause auf Laptop oder PC.
Ihre spannendste Aufgabe bisher war …
Das Einarbeiten in die Technologien und Geräte, die wir zur Erstellung und Interaktion mit den 3D-Modellen verwenden. Dies lässt mich ständig neue Blickwinkel entdecken, wie man die 3D-Inhalte noch besser in den Museumskontext und die Themengebiete einbinden kann.
Helena Grebe - Fotografischer Dienst / Digitale Bilderfassung
Meine Aufgabe im Team Digitalisierung ist ...
... die fotografische Dokumentation von Objekten im Rahmen von Sammlung, Forschung und Ausstellung. Außerdem erstelle ich Scans von zweidimensionalen Materialien.
Welche Chancen birgt die Digitalisierung für Museen?
Mit der Digitalisierung kann ein viel größeres Publikum erreicht werden – vor allem auch Menschen, die sonst nicht oder selten in unser Museum kommen würden. Alter, Einkommen und geografischer Standort spielen keine so große Rolle mehr wie beim physischen Museumsbesuch. Der Besuch wird durch das digitale Angebot nicht ersetzt, sondern bietet dem bestehenden Museumsangebot eine zeitgenössische Erweiterung.
Dennis Hoffmann - Mitarbeiter 3D-Erfassung und Bildgebung
Meine Aufgabe im Team Digitalisierung …
... besteht in erster Linie darin 3D-Digitalisate zu erstellen und für die Darstellung im Netz aufzubereiten. Als Interaktionsdesigner helfe ich außerdem dabei, Gestaltungs- und Bedienkonzepte für interaktive Anwendungen wie beispielsweise webAR zu entwickeln.
Welche Vorzüge bieten 3D-Modelle?
Um das Wesen eines Objektes zu verstehen, muss es aus vielen Perspektiven betrachtet werden. Im Kontext von musealen Gegenständen bieten 3D-Modelle nicht nur die Möglichkeit, ihre Räumlichkeit darzustellen, sondern eröffnen völlig neue Betrachtungsweisen. Damit stellt 3D als Medium eine wertvolle Ergänzung im Bereich der Bildung und Vermittlung von Wissen dar.
Isabella Hodgson - Digital-Kuratorin
Meine Aufgabe im Team Digitalisierung ...
... besteht darin, eigene digitale Vermittlungskonzepte zu entwickeln und die Kolleg:innen bei der Umsetzung virtueller Angebote zu beraten. Daneben erarbeite ich Leitfäden zu wichtigen digitalen Themen. Auch zur Verbesserung der technischen Infrastruktur versuche ich beizutragen.
Ist Digital das spannendere Analog?
Die Gesetzmäßigkeiten des virtuellen Raums unterscheiden sich sehr stark von denen eines physischen Ausstellungssettings. Gerade deshalb stellen Online-Formate eine ideale Ergänzung unserer analogen Angebote dar.
Karolin Leitermann - Wissenschaftliche Koordinatorin des
SAW-Projektes „Digital Materialities“
Meine Aufgabe im Team Digitalisierung ist …
... an der Schnittstelle von analoger und virtueller Ausstellung zu agieren.
Welches Projekt bearbeiten Sie aktuell?
Derzeit arbeite ich als wissenschaftliche Koordinatorin im SAW-Projekt „Digital Materialities“.
Dr. Dennis Niewerth bereitet ein Schiffsmodell für den Streifenlichtscanner vor.
Foto: DSM / Helena Grebe