Medienwissenschaftler im Museum: DSM verstärkt digitale Aktivitäten mit neuer Professur
Weltweit stehen Museen vor der Herausforderung, Ausstellungen an die Sehgewohnheiten des digitalen Zeitalters anzupassen und die Themen der eigenen Sammlung im Netz attraktiv und informativ zu präsentieren. Mit einem neu geschaffenen Digitalisierungsteam, finanziert aus überregionalen Sondermitteln, geht das Deutsche Schifffahrtsmuseum / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM) beide Aufgaben mit Elan an. Komplettiert wird das Team nun durch eine neu geschaffene Professur für Wissensprozesse und Digitale Medien in Kooperation mit der Universität Oldenburg. Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Sebastian Vehlken verstärkt die DSM-Crew ab dem 1. August. Bereits in seiner Dissertation zur Geschichte der Schwarmforschung verband er das Wissen der Ozeane mit den Digitalen Medien. Ein Magazinbild von Haien, die durch einen Fischschwarm schwammen, faszinierte ihn so stark, dass er sein Promotionsthema daraus ableitete.
Als Achtjähriger träumte Sebastian Vehlken davon, als Kapitän zur See große Schiffe über die Ozeane zu steuern. „Die alten Kinderbücher lese ich mittlerweile meinen Kindern vor. Eins davon trägt auf dem Einband ein Gemälde der WAPEN VON HAMBURG von 1669, das in der Kogge-Halle ausgestellt ist. Es schließen sich also Kreise für mich“, freut sich der gebürtige Nordrhein-Westfale, der gedanklich bereits Segel gen Norden gesetzt hat.
Für den Medienwissenschaftler waren bisher die Theorie digitaler Medien, die Geschichte des Supercomputings sowie Computersimulationen als Medien der Wissenschaften wichtige Themen. Während eines Studienaufenthaltes im australischen Perth zog ihn das Cover eines Tauchmagazins in den Bann: „Haie schwammen durch einen Fischschwarm. Das Motiv konnte ich nicht vergessen. Für mich stand fest, ich will die Bewegung unter Wasser erforschen und maritime Themen in die Lehre einfließen lassen.“ Seither verbindet er Computergeschichte, Medientheorie und Ozeanographie miteinander – und leistet damit Pionierarbeit. Wenn Vehlken an Klimaschutz, Schifffahrtslogistik und Kulturwissenschaften denkt, dann brennen ihm nicht nur relevante Fragen unter den Nägeln, er sieht vor allem enorme Schnittmengen, die er für die DSM-Gäste sichtbar machen und identifizieren will.
In den Medien- und Kulturwissenschaften gab es bis vor Kurzem keinen Ort für Vehlkens Interesse an maritimen Themen. Erst in den letzten fünf Jahren entwickelte sich im anglo-amerikanischen Raum das Forschungsfeld der „Ocean Humanties“ oder „Blue Humanities“. Die Stelle am DSM bringt zentrale Themen aus dessen Spektrum auf den Punkt. „Ich freue mich auf viele Fragen der Gäste, beispielsweise, wie die Zukunft der Hafenstädte aussehen kann, eine Renaissance der Segelschiffe oder ein umweltfreundliches Containerschiff. In einem Schifffahrtsmuseum gehört der Blick auf die Perspektiven aller Beteiligten – von Beschäftigten über Industrieunternehmen und ökologische Initiativen bis zur Ozean- oder Materialforschung – dazu, um das gesamte Spektrum der Beziehung zwischen Mensch und Meer zeigen zu können“, sagt der 44-Jährige, der als Kind des Ruhrpotts dicht an den Folgen des Strukturwandels einer Branche dran war.
Und auch am DSM selbst ist die Freude groß: „Unsere Forschung am DSM hat zwei große Fragestellungen: Was können wir aus maritimer Geschichte für die Zukunft lernen? Und wie können digitale Medien das Besuchserlebnis im Museum positiv beeinflussen und Museumsinhalte wirkungsvoll im digitalen Raum präsentiert werden? Unser Haus wird hierbei dank einer Sonderfinanzierung aus Bundesmitteln zu einem Kompetenzzentrum im Bereich der Digitalisierung von Museen“, sagt DSM-Direktorin Prof. Dr. Ruth Schilling. „So entwickeln wir zum Beispiel Methoden der Digitalisierung von historischen Objekten, die künftig auch anderen Museen zugutekommen. Ich freue mich sehr, dass wir mit Prof. Dr. Sebastian Vehlken einen international renommierten Medienwissenschaftler gewinnen konnten, der diese spannenden Ansätze digitaler Museumsarbeit bündelt und weiter vorantreibt.“
Als Fan maritimer Geschichte und Experte für digitale Präsentationen sieht er viel Potenzial, Moderne und Historie in der neuen Dauerausstellung zu verschränken. „Ich bin ein großer Freund von ästhetisch gut gemachten Ausstellungen, die mit dem Ort arbeiten. Technische Applikationen können die dynamischen Eigenschaften eines Exponats sichtbar machen: Wie fragil ist ein Schiff? Wie bewegt es sich? Wer ist darauf gereist? Im Fokus steht jedoch das imposante Objekt, das Besuchende live ansehen und auf sich wirken lassen wollen. Fehlt es, bringt auch ein VR-Erlebnis weniger.“
Vehlken startet zum 1. August am DSM. Seine Stelle ist mit einem Lehrauftrag an der Universität Oldenburg verknüpft. Studierende haben die Auswahl an praxisnahen Veranstaltungen, die eng mit dem DSM verschränkt sein werden. Von der Geschichte des Unterseekabels bis hin zum Einblick in das digitalisierte Museum sei alles denkbar.
Zur Person: Prof. Dr. Sebastian Vehlken ist Medien- und Kulturwissenschaftler. Er arbeitete von 2017-2021 als Senior Researcher der DFG-Kollegforschergruppe Medienkulturen der Computersimulation (MECS) an der Leuphana Universität Lüneburg und war zugleich Professor im Bereich Medientheorie und Mediengeschichte am dortigen Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien (ICAM). Von 2013-2017 war er Juniordirektor des MECS, und zwischen 2015 und 2021 bekleidete er Gastprofessuren an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der Universität Wien sowie Vertretungsprofessuren an der Universität Freiburg und der Leuphana. 2014 war er Research Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien. Zuvor arbeitete er von 2010-2013 als wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) am ICAM, von 2007-2010 als wissenschaftlicher Assistent (Predoc) am Lehrstuhl für Epistemologie und Philosophie Digitaler Medien des Instituts für Philosophie der Universität Wien, und von 2005 bis 2007 wurde er als DFG-Stipendiat im Graduiertenkolleg Mediale Historiographien der Bauhaus-Universität Weimar gefördert.