Maritimes Wissen aus sechs Jahrhunderten auf 2.000 Regalmetern
Ob winzig, übergroß, historisch oder optischer Blickfang – nicht nur zum Tag des Buches am 23. April lohnt sich ein Streifzug durch die Regale der Bibliothek des Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte.
Mehr Schatz als Schätzchen ist das Schiffbaubuch „The Modern System of Naval Architecture“, und genauso muss es auch gehändelt werden: Ein Wagen und mindestens eine Zwei-Personen-Eskorte sind notwendig, um das seltene Exemplar dieser Abhandlung aus dem Jahr 1865 aus dem Regal zu hieven und es in den Lesesaal zu verbringen. „Es ist definitiv das größte und schwerste Buch. Wir müssen es zu zweit heben“, sagt Simon Kursawe, Mitarbeiter der DSM-Bibliothek, über das ein Meter hohe Schwergewicht. Liebhaber können die Schiffbaupläne bekannter Liner über mehrere Meter ausklappen und bis ins Detail studieren.
Eher im Taschen- bzw. Fingerformat fällt das Gebetsbüchlein von 1750 aus, in dem Kursawe fast Schwierigkeiten hat zu blättern, weil es so winzig ist. Riesengroß hingegen ist das Wissen, das darin zwischen den Buchdeckeln klemmt: Neben Umrechnungen für Währungen, Hinweisen zu Astronomie, Geografie und Navigation enthält es auch Reisegebete für Seemänner. Das laut Katalog älteste Buch aus dem Jahr 1535 hingegen ist relativ unscheinbar, meint der Bibliotheksmitarbeiter: „Das ist einem Buchrestaurator zum Opfer gefallen, jetzt sieht es außen fast neu aus.“
Noch nicht so alt, aber dafür ein echter Hingucker ist das „Ehrenbuch der Hochseefischer“, das von 1953 bis 1970 in gestochen scharfer Schönschrift alle Personen seit 1895 erfasste, die auf See ihr Leben ließen. Der reich verzierte, mit Goldbeschlägen versehene Band sieht so kostbar aus, dass er sogar Teil der Ausstellung war und auch bald wieder in der neuen Dauerausstellung „Schiffswelten – Der Ozean und wir“ bestaunt werden kann.
Die DSM-Bibliothek, derzeit ansässig in der Hoebelstraße 23, bezeichnet sich mit Recht als wissenschaftliche Spezialbibliothek. Einzigartig in ganz Deutschland ist sie der Anlaufpunkt für Forschende und Fans von Meer und Maritimem. Schiffsspezialwissen aus sechs Jahrhunderten staut sich dort auf rund 2.000 Regalmetern. Neben Entdeckungs- und Expeditionsberichten, Navigations- und Schiffbauhandbüchern, Lotsen- und Hafenordnungen, Schiffsregistern, historischen Geschäftsberichten, Reederei- und Werftschriften, Seehandbüchern und Seeatlanten können 330 Zeitschriften eingesehen werden. Wer neben technischen Daten und Landkarten auch ein wenig Fiction und Belletristik sucht, kann sich in die Romanvorlagen zum Film „Das Boot“ vertiefen oder im Tim und Struppi-Comic „Der Schatz Rackhams des Roten“ schmökern, in dem Kapitän Haddock die Position des Wracks EINHORN enthüllt. „Wir haben maritime Raritäten, die es nur zweimal auf der Welt gibt, aber eben auch das Standardprogramm“, sagt Kursawe. Mit Spannung erwartet er mit seinen beiden Kollegen einen speziellen Tag im Sommer: „Wenn das 100.000 Buch katalogisiert wird. Derzeit sind wir bei 99.780 und wachsen jedes Jahr weiter.“
Mit Arnold Kludas trat am 1. April 1976 ein passionierter Schiffshistoriker seinen Dienst als Leiter der DSM-Bibliothek an. Er ordnete den Bestand, trennte Archivalien von Büchern und baute die Bibliothek nach und nach zu einer der wichtigsten und umfangsreichsten Adressen zum Thema deutsche Schifffahrtsgeschichte auf. Neben Deutsch, Englisch und Französisch ist Niederländisch als wichtige Sprache in den Ausgaben vertreten.
Für das Bibliotheks-Team steht neben den Superlativen vor allem der Service im Fokus: „Wir sind national die größte Einrichtung dieser Art, die öffentlich zugänglich ist. Jeder Gast darf theoretisch in alle Werke schauen, und wir sind gerne behilflich. Als Präsenzbibliothek entleihen wir zwar nicht direkt an Besucher:innen, wir können jedoch über die Fernleihe fast alles liefern und bestellen. Wir freuen uns über jeden Gast und Rechercheauftrag. Auch Ahnenforschung kommt regelmäßig vor“, sagt Kursawe.
DSM-Bibliothek, Hoebelstr. 23, Bremerhaven, Öffnungszeiten: Di-Do 9.30-12.30 Uhr, 13.00-16.00 Uhr, Fr 9.30-14.00 Uhr, Telefon: 0471 482 07 - 22 / 44
Simon Kursawe zeigt das größte Buch der Bibliothek.
Das kleinste Buch der Bibliothek.