Internationales Projekt "North Sea Wrecks": Probenentnahme auf hoher See
Muscheln als Biomarker
Die Nordsee ist kontaminiert: mit unzähligen Schiffs- und Flugzeugwracks samt Ladungen und zum Teil gefüllten Treibstofftanks aus den zwei Weltkriegen, aber auch mit konventioneller und chemischer Munition, die im Meer verklappt wurde und seitdem auf dem Grund verrottet. Um diesen für Mensch und Umwelt unkalkulierbaren Gefahren auf die Spur zu kommen, arbeitet das von der EU geförderte, internationale Projekt „North Sea Wrecks“ seit 2018. Es widmet sich der wissenschaftlichen Erforschung sowie der politischen und historischen Aufarbeitung der Problematik von verklappter Munition, Kriegswracks und der daraus resultierenden Umweltverschmutzung und Kontaminierung in der Nordsee. Neun europäische Partner*innen arbeiten hierfür eng auf verschiedenen Ebenen zusammen, die Koordination übernimmt das Deutsche Schifffahrtsmuseum (DSM).
Am 24. und 25. September 2019 brechen nun Forscher vom Vlaams Instituut voor de Zee (VLIZ), dem DSM und vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), gemeinsam zu Probenentnahmen in der Nordsee auf. Auf dem Forschungsschiff „Simon Stevin“ starten sie vom belgischen Oostende zu Tagesfahrten. Dabei ist geplant, das Wrack des Vorpostenbootes V-1302 („John Mahn“) und die HMS Basilisk zu beproben. Bei beiden Wracks wurden bei früheren Ausfahrten Muschelsäcke angebracht, die jetzt mit Hilfe von Tauchern wieder eingesammelt werden sollen. „Muscheln dienen als Biomarker, da sie als Wasserfiltrierer eventuelle Giftstoffe, die von den Wracks ausgehen, einlagern“, erklärt Team-Mitglied Dr. Philipp Grassel vom DSM. „Die Muscheln werden wir teilweise bereits vor Ort analysieren, um die Frage zu beantworten, ob eine Einlagerung stattfindet und, wenn ja, in welchem Maße.“ Als Vergleichsproben sammeln die Wissenschaftler Muscheln aus dem Gebiet der Belwind Windmill Farm, einem Offshore-Windpark in der südlichen Nordsee. „Die zu beprobenden Muschelsäcke sind jeweils an Tripoden befestigt. Auch bei schlechtem Wetter sollte es möglich sein, die Säcke über eine spezielle Vorrichtung vom Schiff aus zu bergen“, so Grassel.
Das Projekt „North Sea Wrecks“ möchte mit Hilfe von grenz- und forschungsübergreifenden Methoden die wissenschaftliche Kooperationsstruktur zwischen den Anrainerstaaten der Nordsee ausbauen, um gemeinsam eine Strategie zur Bewältigung der wirtschaftlichen, ökologischen und sicherheitsrelevanten Herausforderungen zu entwickeln, die durch Schiffs- und Flugzeugwracks, verlorene Ladung, deponierten chemischen Abfall und Munition entstehen. Mit von der Partie sind neben dem Deutschen Schifffahrtsmuseum unter anderem das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, das Vlaams Instituut voor de Zee, Aarhus University – Department of Geoscience, Stichting NHL Stenden Hogeschool – Maritiem Instituut Willem Barentsz, EGEOS GmbH, Periplus Consultancy BV, Forsvarets Forskningsinstitutt sowie das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Institut für Toxikologie und Pharmakologie. Den Vorsitz des internationalen Advisory Board hat das Referat „Munition im Meer“ des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Kiel. Das Konsortium identifiziert, kartiert und bewertet die Standorte von Wracks, Ladung und Abfällen am Meeresboden. Unter Leitung des DSM wird zudem eine Wanderausstellung entworfen und produziert, die ab 2021 durch verschiedene Städte tourt, um Öffentlichkeit und politische Stakeholder über das Projekt und die Forschungsergebnisse zu informieren.