Forschungskolloquium zur Neueren Geschichte
Der Fachbereich Geschichte der Universität Bremen lädt auch im gestarteten Wintersemester 2021/2022 zu einem Forscherkolloquium ein. Jeweils mittwochs halten Forscher:innen von 18 bis 20 Uhr Vorträge in englischer und deutscher Sprache zu aktuellen Forschungsschwerpunkten. Auch Wissenschaftler:innen des Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte sind vertreten. Zu den Vorträgen ist die breite Öffentlichkeit herzlich eingeladen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, der Eintritt ist frei. Über die aktuelle Zugangsberechtigungen erkundigen Sie sich bitte bei der Universität Bremen. Jeweils mittwochs 18 bis 20 Uhr im Uni-Gebäude GW2 B2880.
Öffentliche Vorträge im Rahmen des Forschungskolloquiums zur Neueren Geschichte, Sommersemester 2021
17.11.2021 | Susanne Kiel und Dr. Kathrin Kleibl (Deutsches Schifffahrtsmuseum/ Leibniz-Institut für Maritime Geschichte) Die Beschlagnahme und Versteigerung von Übersiedlungsgut jüdischer Emigrant:innen in Bremen und Hamburg ab 1940: Grundlagen für weltweite Provenienzrecherchen |
15.12.2021 | Nils Theinert (Deutsches Schifffahrtsmuseum/Leibniz-Institut für Maritime Geschichte) Zwischen Meer und Maschine: Die Aushandlung des menschlichen Faktors im Unterseeboot nach 1945 |
02.02.2022 | Prof. Dr. Rainer Buschmann (California State University Channel Islands) Ethnographische Sammlungen und die mobilen Netzwerke in Deutsch-Neuguinea, ca. 1885–1914 |
Die Beschlagnahme und Versteigerung von Übersiedlungsgut jüdischer Emigrant:innen in Bremen und Hamburg ab 1940: Grundlagen für weltweite Provenienzrecherchen - 17. November 2021
Die aufgrund der NS-Ideologie verfolgten Jüdinnen und Juden wanderten ab 1933 vermehrt aus dem Deutschen Reich aus. Das im Zuge dessen zu transportierende Umzugsgut - in Lifts und Kisten verstaut - verließ Deutschland meist über die Häfen Hamburg und Bremen. Bedingt durch den Kriegsbeginn am 1. September 1939 verblieben die Lifts jedoch in deren Lagern. In Bremen waren es ca. 1.000 und in Hamburg wohl über 3.000 Sendungen.
Ab 1940 beschlagnahmte die Gestapo in beiden Städten die Lifts, um ihren Inhalt zu „verwerten“. Die Gegenstände wurden im Auftrag der Oberfinanzdirektionen durch Gerichtsvollzieher und Auktionatoren öffentlich versteigert. Käufer und Begünstigte waren nicht nur Privatpersonen, sondern auch Händler, Museen und Bibliotheken.
Den Umgang mit dem versteigerten Übersiedlungsgut jüdischer Emigrant:innen erforscht das Deutsche Schifffahrtsmuseum in zwei ineinandergreifenden vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekten: die Umstände in Bremen werden seit 2018 und jene in Hamburg ab Herbst 2020 untersucht.
Die Forschungen zu diesem Themenkomplex sind nicht nur für den norddeutschen Raum von Relevanz. Die Eigentümer der Übersiedlungsgüter stammten aus dem gesamten Deutschen Reich. Ferner befanden sich in den Überseekisten häufig Kunstwerke und Kulturgüter, die nach den Versteigerungen über Bremens und Hamburgs Grenzen hinaus wiederum im ganzen Land weiterverhandelt wurden.
Die für diese Vorgänge relevanten Archivakten und Dokumente beinhalten häufig nur bruchstückhafte, wenn auch wesentliche Informationen über die Abläufe und Käufer. Sie werden recherchiert, analysiert und zusammengeführt. Ziel der beiden Projekte ist es, den Weg der einzelnen Umzugsgüter detailliert nachzuzeichnen, um eine Grundlage für die Auffindung und Restitution der verschollenen Gegenstände zu ermöglichen. Die ermittelten Informationen werden in der Datenbank „LostLift“ gebündelt, verknüpft und abrufbar gemacht.
Die Aushandlung des menschlichen Faktors im Unterseeboot nach 1945 - 15. Dezember 2021
„Auffallend an Bord ist neben der totalen Ausnutzung des begrenzten Raumes auch die Vielzahl von überall verteilten Schaltern, Ventilen etc., besonders im Gebiet der Schiffstechnik. Man ist förmlich umgeben von Technik.“ Wolfgang Flume, Journalist, 1980
Um 1945 und insbesondere während des Kalten Krieges entwickelten sich U-Boote zu echten Unterwasserschiffen, die dauerhaft getaucht operierten. Zugleich erschlossen Tauchboote neue Einsatzgebiete abseits militärischer Nutzung in der Meeresforschung und Offshore Industrie. Dies stellte neue physiologische und psychische Herausforderungen an die Menschen, die in der künstlichen Atmosphäre und technischen Umwelt des U-Bootes ihren Dienst verrichteten. Der Mensch und seine Belastungsgrenzen wurden nun – nicht zuletzt auch aufgrund sich wandelnder Vorstellungen zum Verhältnis des Menschen zur Technik – aus Sicht der am Entwicklungsprozess Beteiligten immer relevanter für die Funktion des technischen Gesamtsystems.
Der Vortrag beschäftigt sich am Beispiel der westdeutschen U-Bootkonstruktion nach 1945 sowie kommerzieller Tauchbootprojekte im Bereich der Offshore Industrie mit der Geschichte des Menschen im U-Boot. Die historischen Debatten um den Platz des Menschen in der Unterwassertechnik zeigen, dass nicht nur technische Innovationen, sondern viel mehr politische Rahmenbedingungen sowie verschiedene kultur-, und wissensgeschichtliche Einflussfaktoren die Konstruktion von Tauchtechnik nach 1945 wesentlich beeinflussten.
Ethnographische Sammlungen und die mobilen Netzwerke in Deutsch-Neuguinea, ca. 1885–1914 - 2. Februar 2022
Mehr noch als die afrikanischen Schutzgebiete waren Deutschlands Pazifische Kolonien im größten Maβe vom Seehandel abhängig. Gerade in der weitverstreuten Natur Deutsch-Neuguineas spielten ländliche Handelswege so gut wie keine Rolle. Schiffe leiteten nicht nur wichtige Exportartikel, vor allem Kopra, sondern auch Ethnographika zu fast allen Kontinenten der Welt. Ein wesentlicher Teil dieser Objekte wurde von den mobilen Netzwerken zusammengetragen, wo Kapitäne, Offiziere, Schiffsärzte und auch Matrosen eine rege Sammelleidenschaft an den Tag legten. Vier verschiedene Netzwerke werden im Vortrag eine zentrale Rolle spielen:
- Der Norddeutsche Lloyd als Zubringer der Objekte
- Die umstrittenen Sammel- und Strafaktionen der deutschen Marine
- Die kommerziellen Sammlungen der Schiffe der Neuguinea Kompagnie
- Die, weitgehend illegalen, Sammelaktionen der Schiffbesatzungen der wichtigsten ethnologischen Expeditionen nach Deutsch-Neuguinea
Die Präsentation vergleicht nicht nur diese Netzwerke miteinander, sondern versucht auch den Einfluss der indigenen Bevölkerung auf die mobilen Sammler zu erfassen.