Arten in Bewegung: Alles in Ordnung mit der Natur?
Die Chinesische Wollhandkrabbe, die Pazifische Felsenauster und der Raubfisch Snakehead haben eine Gemeinsamkeit. Sie sind eingeschleppte Arten, die sich auf verschiedenen Wegen in neuen Regionen angesiedelt haben.
Aber wann sind eingeschleppte Arten unerwünscht und wann vielleicht sogar willkommen? Ökosysteme verändern und ordnen sich neu – und der Mensch ist Teil davon. Im interaktiven Austausch mit Expert*innen lernen Sie die Ursachen und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt kennen. Wir laden Sie ein mit allen Teilnehmenden zu diskutieren, ab wann Arten als schützenswert gelten und inwieweit wir selbst in die Geschichte der Natur verwickelt sind. Dazu haben wir Fachleute aus Biologie, Politik, Naturschutz und Philosophie eingeladen.
World Café
In der Workshop-Phase diskutieren Sie an verschiedenen Tischen mit jeweils einem/r Expert*in verschiedene Aspekte des Themas. An den Tischen halten Sie Ihre Gedanken und Ideen auf der Tischdecke fest. Nach 15 bis 20 Minuten wechseln Sie an den nächsten Tisch. Der/die Expert*in bleibt als Gastgeber*in am Tisch und informiert die nächste Gruppe über den Stand des Gesprächs. Am Schluss bringen wir alle die Ergebnisse der Thementische zusammen und diskutieren in der Gruppe.
Expert*innen
Dr. Sven Bergmann - Maritim- und Umweltanthropologe, Deutsches Schifffahrtsmuseum
Dr. Katja Broeg - Meeresbiologin und Ökotoxikologin, Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
Dr. Christian Buschbaum - Meeresökologe, Alfred Wegener Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (Wattenmeerstation Sylt)
Die Expert*innen
-Dr. Sven Bergmann
Was bedeutet Biodiversität für Sie?
Diversität und Differenz sind zentrale Begriffe in den Sozial- und Kulturwissenschaften. So wie die moderne und westliche Trennung von Natur und Kultur immer mehr erodiert, entstand auch Biodiversität als ein die Grenzen von Disziplinen überschreitender Begriff. Als Kulturanthropologe fehlt mir in der Debatte aber oft ein Verständnis für Beziehungen und Verbindungen zwischen den ‚Arten‘.
Warum betrifft Ihre Forschung die Gesellschaft und jede*n Einzelne*n?
Forschung im Bereich der politischen Ökologie interessiert sich für die Grenzbeziehungen zwischen Natur und Kultur. Wir als Menschen bestimmen mit unserem Handeln die Natur. Daher macht es einen Unterschied, die Welt aus einer Perspektive der Hybridität oder einer Perspektive der ‚Reinheit‘ zu betrachten – und es hat weitreichende politische Konsequenzen für den Umgang mit dem Eigenen und dem Fremden.
Was war die bisher überraschendste Erkenntnis in Ihrer Forschungskarriere?
Offen für Überraschung sein, ist immer ein gutes Leitprinzip für wissenschaftliche Forschung. Im Grenzbereich der NaturenKulturen bin ich immer wieder überrascht, wie sich Diskurse in vermeintlich ‚getrennten‘ Feldern ähneln, mit welchen Metaphern, Symboliken und Stereotypien transdisziplinär argumentiert wird.
Was haben Ihre Forschungsergebnisse mit unserem Handeln in Alltag zu tun?
Alle Handlungen, Verbote und Richtlinien, die wir mit guten Intentionen anstreben, können immer zum Nachteil von Anderen sein. Der Schutz für eine ‚Art‘ kann beispielsweise eine Gefahr für eine andere bedeuten – diese Verbindungen gilt es, soweit möglich, immer zu reflektieren.
Dr. Katja Broeg
Was bedeutet Biodiversität für Sie?
Vielfalt der Lebensformen und Arten, überall einzigartig aufeinander abgestimmt und auf ihre jeweiligen Umweltbedingungen.
Warum betrifft Ihre Forschung die Gesellschaft und jede*n Einzelne*n?
Die Grundlage unserer Existenz beruht darauf dass wir es schaffen, unsere Ansprüche und die unserer Umwelt aufeinander abzustimmen. Dafür forsche und arbeite ich.
Was war die bisher überraschendste Erkenntnis in Ihrer Forschungskarriere?
Dass der Mensch sich über einen so langen Zeitraum von den Naturgesetzen abkoppeln konnte ohne zu verstehen dass es so nicht ewig weitergehen kann. Zum Beispiel Stoffe zu synthetisieren, die sich dem Abbau komplett entziehen ohne zu begreifen, dass der Naturkreislauf die einzige Möglichkeit ist, unseren begrenzten Raum Erde nachhaltig bewohnen zu können.
Was haben Ihre Forschungsergebnisse mit unserem Handeln in Alltag zu tun?
Dass man wieder mit seinen Kindern und Enkelkindern in der Elbe baden kann ohne sich Gedanken machen zu müssen, sich im „Vorfluter“ zu vergiften
Dr. Christian Buschbaum
Was bedeutet Biodiversität für Sie?
Biodiversität bedeutet neben Artenvielfalt für mich auch Lebensraumvielfalt. Dies beinhaltet zudem die Vielfalt von Interaktionen der Organismen untereinander und ihre Wechselwirkungen mit dem Lebensraum, in dem sie vorkommen. Viele dieser Wechselwirkungen sind auch essentiell für unsere Gesellschaft. Ein Beispiel ist die wichtige Funktion von Insekten als Blütenbestäuber. Biodiversität ist also auch Lebensgrundlage für uns Menschen.
Warum betrifft Ihre Forschung die Gesellschaft und jede*n Einzelne*n?
Einer meiner Forschungsschwerpunkte sind eingeschleppte Arten in Küstenmeeren. Diese Lebensräume verändern sich derzeit rasant. Sie tun es so schnell, dass wir die Veränderungen kaum erforschen, erfassen und dokumentieren können. Diese Veränderungen werden das Leben der Menschen an der Küste aber auch fernab der Meere zunehmend beeinflussen, sei es beispielsweise der Meeresspiegelanstieg, die Nutzung natürlicher Ressourcen wie Nahrungsmittel aus dem Meer, oder auch die Funktion der Küste für Erholung und Tourismus.
Was war die bisher überraschendste Erkenntnis in Ihrer Forschungskarriere?
Bezüglich eingeschleppter Arten war für mich erstaunlich festzustellen, wie gut heimische Arten mit den Einwanderern kooperieren und welchen gegenseitigen Nutzen beide voneinander haben können. Von dieser Erkenntnis könnten wir im menschlichen Zusammenleben lernen.
Was haben Ihre Forschungsergebnisse mit unserem Handeln in Alltag zu tun?
Unsere Umwelt verändert sich nicht nur schnell im Meer, sondern auch an Land und viele dieser Veränderungen sind menschengemacht. Diese Veränderungen müssen veranschaulicht werden, um wieder eine größere Sensibilität gegenüber unserer Umwelt aufzubauen. Nur dann reden wir nicht nur über nötige Schutzbemühungen und veränderte Verhaltensweisen, sondern leben sie auch.
Nach einem Impulsvortrag über den kürzlich publizierten Globalen Bericht des Weltbiodiversitätsrates startete die Workshop-Phase und der interaktive Austausch mit den Expert*innen. An drei Thementischen diskutierten die Teilnehmer*innen über „Reisemotive von Arten“ (K. Broeg), Auswirkungen auf das Meer“ (C. Buschbaum) sowie „Natur vs. Kultur“ (S. Bergmann) und notierten die Ergebnisse auf die Tischdecke. Die Expert*innen waren gleichzeitig Gastgeber*innen an den verschiedenen Tischen. Die Diskussion an den Tischen verlief größtenteils balanciert und es fand auch eine Annäherung an die verschiedenen Begriffe statt.
Bei der ersten Runde „Aktueller Stand“ informierten die Gastgeber*innen über die verschiedenen Einwanderungswege von Arten, welche Formen von Auswirkungen es gibt und welche Arten als heimisch oder nicht-heimisch eingeordnet werden. In der zweiten Runde wurden Definitionen von idealen Umgang mit invasiven Arten herausgearbeitet. Hier kamen die Teilnehmer*innen auf ähnliche Rückschlüsse: der jetzige Zustand befindet sich in einem dynamischen Wandel und die Entscheidung über Gut und Schlecht ist abhängig von der Betrachtungsweise (ökologisch vs. menschlich). Grundsätzlich könnte ein idealer Umgang eine Nutzung der invasiven Arten (z.B. Chinesische Wollhandkrabbe als Lebensmittel) und möglichen Ko-Existenz, aber auch der Vermeidung von Einwanderung, erreicht werden.
Die Antworten zur Frage, warum es sich lohnt den Idealzustand herzustellen, zeigte mehrere Aspekte auf: Vielfalt von Lebensräumen und Arten sollte erhalten werden, um Ökosystemdienstleistungen aufrecht erhalten zu können. Gleichzeitig wird eine Abwägung zwischen den Nutzen und Kosten und der Betrachtungsweisen nötig sein. Aus ökologischer Sicht ist der Idealzustand angestrebt, aber aus menschlicher Sicht ist dieser womöglich nicht erreichbar, da dies mit starken Einschränkungen, z.B. im Konsumverhalten (weniger Einschleppung durch Schiffsverkehr ermöglichen), einhergehen müsste. Auch die Minimierung menschlicher Ängste gegenüber tierischen Einwanderern stellt einen Faktor bei einem möglichen Idealzustand her. Darüber hinaus wurde diskutiert, ob ein Ideal erreicht oder möglich ist, solange mit den Änderungen umgegangen werden kann und ob eine Änderung zu einem Idealzustand, wirklich eine Besserung des derzeitigen (und sich gleichzeitig ständig ändernden) Zustandes wäre.
Folgende Grundaussagen und Appelle wurden während des Abends erarbeitet:
- Die verschiedenen Wechselspiele und die Komplexität der Thematik müssen bei näherer Betrachtung unbedingt beachtet werden!
- Die Voraussetzung für eine vielfältige Nutzung von Informationen ist eine angemessene Aufklärung! (wie z.B. unter https://www.neobiota-plattform.de/)
- Lasst uns so viel wie möglich tun, um Einschleppung von Arten zu verhindern!
Die Ergebnisse dieses World Cafés wird dem Ausstellungs- und Forschungsteam des Museums zur Verfügung gestellt. Die Themen „Schifffahrt und Umwelt“ und „Migration“ werden in der neuen Ausstellung auf verschiedene Weisen beleuchtet und dargestellt werden.
Auswahl an Hintergrundinformationen
Zusammenfassung des Globalen Berichtes des Weltbiodoversitätsrates (Englisch)
Umweltbundesamt: Durch Umweltschutz die biologische Vielfalt erhalten
Empfehlungen zu einer BMBF-Leitinitiative „Nationale Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt“
Christoph Kehl: Inwertsetzung von Biodiversität
Marion Mehring & Alexandra Lux: Der Wert der Biodiversität
AWI/Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein: Neobiota in deutschen Küstengewässern
Wolfgang Kaufmann: Invasive Arten in der Naturschutzpraxis
Martin Zimmer & Véronique Helfer: Biodiversität, Ökosystemprozesse und Ökosystemleistungen
Ergebnisse aus dem World Café mit dem Fokus auf die Auswirkungen von invasiven Arten auf das Meer
Ergebnisse aus dem World Café mit dem Fokus auf die Wahrnehmung und damit Bewertung von invasiven Arten auf den Menschen
Ergebnisse aus dem World Café mit dem Fokus auf die Reisemotive und Reisewege von Arten.