Nachbericht: Workshop "Late medieval sea vessels in Northern Europe"
Am 15. und 16. Februar 2024 trafen sich dreißig hochkarätige Expert:innen v. a. aus den Bereichen Maritime Archäologie, Geschichtswissenschaft, Restaurierung und Holzanalytik zur Tagung „Late Medieval Sea Vessels in Northern Europe“. Organisiert von Dr. Alexander Reis und Prof. Dr. Sebastian Vehlken aus der DSM-Abteilung „Schiffe als Wissensspeicher: Sammeln und Bewahren“ setzte sich das Treffen zum Ziel, eine aktuelle Bestandsaufnahme laufender Forschungsprojekte und methodischer Ansätze zu Koggen und koggeähnlichen archäologischen Schiffsfunden vorzunehmen. Die „Bremer Kogge“ und die facettenreiche Geschichte ihrer Beforschung am DSM wurde einmal mehr zu einem Kristallisationsobjekt und Bezugspunkt für gegenwärtige Projekte.
Auf Basis dieser Zusammenführung internationaler Forschungsperspektiven ging es jedoch auch darum, das im Zusammenhang mit diesen oft bahnbrechenden Funden und Untersuchungen entstehende Wissen zukünftig viel stärker integrativ darzustellen. Das DSM regte dazu die Gründung einer kollaborativen digitalen Wissensplattform an, die als ein gemeinsam getragenes Informations- und Forschungsportal zum Thema mittelalterliche Schiffe dienen soll und sich neben wissenschaftlichen Adressat:innen auch der allgemeinen Öffentlichkeit zuwendet.
Auf der Tagung wurde schnell deutlich, dass viele Vortragende diesem Ansinnen inhaltlich einen hohen Wert beimessen: Die Forschungen materialitätsbezogener Wissenschaften wie der Archäologie und ihre Funde gewinnen überall dort an Verständlichkeit und Relevanz, wo sie mit historischem Wissen verschränkt werden können – z. B. aus literaturwissenschaftlichen und historischen Forschungen zu zeitgenössischen Archivalien oder aus kunstgeschichtlichen Analysen bildlicher Darstellungen. Und andersherum gewinnen die letztgenannten Wissenschaften ungemein, wenn sie sich den Möglichkeiten materialbezogener (und materialwissenschaftlicher) Perspektiven öffnen.
Das Tagungsprogramm erprobte diese Verschränkung konsequent, und die Vorträge erzeugten im Zusammenspiel und ausgehend von Schiffsfunden den wissenschaftlichen Blick auf eine ganze mittelalterliche Welt. Dieser verband Themen wie Schiffbautechniken und dafür verwendeter Bezeichnungen mit der Vorstellung von Simulationen des Fahrverhaltens der Bremer Kogge auf See. Neu entdeckte Schiffswracks aus Dänemark, Estland und den Färöern verdeutlichten Formen damaliger Seefahrt. Welche zentrale Rolle holzanatomischen Untersuchungen, besonders der Dendrochronologie in der maritimen Archäologie zukommt, machten Beiträge zur Methodik der Beprobung von Schiffshölzern, zur Herkunftsanalyse der Hölzer und zur spätmittelalterlichen Waldnutzung im Umland von Bremen deutlich. Zum Beispiel weist die schlechte Qualität der für den Bau der Bremer Kogge verwendeten Hölzer mit zahlreichen Reparaturstellen auf eine nur beschränkte Verwendbarkeit des Schiffs hin.
Die Vorträge zu zeitgenössischen Handelsnetzwerken, wie z. B. dem Handel mit Porzellan aus China, Schiffsbauplätzen und Hafenanlagen ermöglichten Vergleiche zu Topographie, Infrastruktur und Transportgeographie: vom Schiffsbauquartier in der Nähe des Towers of London über die Befunde am Teerhof in Bremen bis hin zu norwegischen und finnischen Seerouten.
Inwieweit Funde vollständigen Tischgeschirrs oder Tabakspfeifen aus Hafenbecken auch Rückschlüsse auf bestimmte Vorgänge an Bord zulassen, machte ein Beitrag aus Norwegen deutlich. Ein Vortragender aus Griechenland wagte einen historiographischen Perspektivwechsel weg von Geschichtsereignissen und hin zu Schiffsbiographien als Geschichtsschreibung. Neue Forschungen zu hölzernen Beifunden der Bremer Kogge, dem Kalfatmaterial und dem Monitoring der Kogge in der Ausstellung hoben den naturwissenschaftlichen Bedeutungszusammenhang des Schiffs hervor: Die für das Kalfatmaterial verwendeten Moosarten deuten auf Wasserflächen hin, welch nach dem Torfabbau entstanden. Untersuchungen zu den Seilfragmenten der Takelage machten auf noch nicht gelöste Probleme der Beseglung von Koggen aufmerksam.
Nun geht es darum, den Schwung der Tagung mitzunehmen in erste Schritte zur Umsetzung des geplanten Online-Portals zum Thema „Wissenswelten rund um Koggen und koggeähnliche Schiffe“. das DSM freut sich auf die Möglichkeit, dabei die bestehende und neu begonnene Vernetzung mit nationalen und internationalen Partnerinstitutionen weiter zu intensivieren.