Gebaut, um entdeckt zu werden
Mehr als ein halbes Jahr liegt die Eröffnung der neuen Dauerausstellung „Schiffswelten – Der Ozean und wir“ im Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte nun zurück. Direktorin Prof. Dr. Ruth Schilling und der Kurator Dr. Pablo von Frankenberg erinnern sich an die Entstehung, die architektonischen Besonderheiten und verraten ihre heimlichen Highlights.
Welches zentrale Leitmotiv hat die Schiffswelten-Ausstellung?
Prof Dr. Ruth Schilling: Das Leitmotiv ist das Schiff in der heutigen Welt. Schiffe kommen in der globalen Welt als abstrakte Anmutungen wie den Forschungsschiffen oder riesigen Dampfern vor, die auf der Werft gebaut werden. Früher waren es eher kleine Fischerboote, wie das Zeesboot. Im Eingangsbereich taucht man sofort ins Leitmotiv ein durch die vielen Miniaturmodelle.
Weshalb werden die Schiffswelten in fünf Bereichen erzählt?
Schilling: Die fünf Bereiche „Schiffbau“, „Physik“, „Umwelt“, „Forschungsschiff“ und „Ausrüstung“ sind organisch gewachsen und machen Zusammenhänge sichtbar. Sie demonstrieren die Vielfältigkeit des Schiffes als Instrument: Es wurde vom Menschen gebaut, um die Welt und das Meer zu entdecken, zu erforschen. Andererseits wird der Lebensraum Meer massiv durch Schiffe gestört.
Dr. Pablo von Frankenberg: Das Spannende an den Bereichen ist deren Offenheit. Kein Bereich behauptet, die Deutungshoheit zu haben, auserzählt zu sein – im Gegenteil! Die Bereiche ermutigen zu neuen Denkansätzen und Perspektiven gerade auch durch die Gäste.
Wie bewegt man sich als Gast am besten durch die recht große Ausstellung?
Schilling: Es gibt bewusst keinen festgelegten Rundgang, alle sind eingeladen, sich sehr fließend zu bewegen. Wenn ich an den Louvre in Paris denke, der auch sehr groß ist, dann folge ich dort dem Prinzip, mir immer einen anderen Bereich auszusuchen.
Frankenberg: Mir gefällt der Vergleich mit dem Louvre: Das Deutsche Schifffahrtsmuseum mit der Kogge-Halle, den Museumsschiffen und der neuen Dauerausstellung ist ebenfalls ziemlich weitläufig und bietet einen enormen Wissensschatz. Wir möchten die Entdeckerqualitäten der Gäste wecken. Man bewegt sich wie auf einer Seekarte, in der es farbliche und inhaltliche Knotenpunkte gibt, die aber bewusst einlädt, sich eine eigene Route zu suchen. Kinder machen das intuitiv und lassen sich von ihrer Neugier treiben. Beim Prinzip Entdecker gilt es darum, den Bereich zu entdecken, auf den man gerade Lust hat – und später wiederzukommen.
Welche Botschaft möchten Sie den Gästen vermitteln?
Schilling: Die Botschaft lautet: Schaut auf die großen, komplexen, ressourcenintensiven Objekte – die Schiffe. Als Forschungsschiffe können sie dazu beitragen, unsere Zukunft zu sichern. Als riesige Trawler zerstören sie das Meer, fischen es leer und rauben die Ressourcen vom Meeresboden. Diese Themen verdeutlichen wir mit Exponaten wie beispielsweise dem Scherbrett, das meterhoch, jedoch nur ein winziges Teil in einem Schleppnetz ist und dadurch zeigt, welche unfassbar großen Mengen Fisch wir aus dem Meer holen. Auch das APEX zeigt eindrucksvoll, welche komplexen Instrumente wir brauchen, um den Lebensraum Meer kennenzulernen.
Frankenberg: Das zentrale Angebot ist der Perspektivwechsel: Die Welt vom Schiff aus begreifen. Es soll auch mitschwingen, dass wir alle eine Verantwortung für die Welt im Allgemeinen und im Speziellen für den Lebensraum Meer haben. Die Schiffswelten-Ausstellung bietet an, die Welt ein stückweit besser zu begreifen.
Wen sprechen Sie an mit der Ausstellung?
Schilling: Wir sprechen ausnahmslos alle an, die sich für Meer und Schiffe interessieren und denken, dass der Ozean im Fokus unseres Lebens steht. Vor allem freue ich mich natürlich, wenn junge Menschen zu uns kommen und etwas mitnehmen. Denn sie sind es, die die Welt demnächst gestalten und die Gesellschaft prägen werden.
Frankenberg: Dem kann ich mich nur anschließen – wir richten uns an alle, die die Welt entdecken möchten und mutig sind, Fragen zu stellen.
Welcher Bereich überrascht Sie persönlich am meisten und wieso?
Schilling: Ich finde in jedem Bereich meine Highlights. Besonders gefällt mir das Zeesboot, ein kleines Fischerboot, das quasi in der Mitte durchgeschnitten wurde. Nicht nur kann man bis zum Motor blicken, der später eingebaut wurde, es ist auch ein Relikt aus der Ostsee. Hinter unserem Museum ist gleich der Deich mit der Nordsee, dennoch ist es mir wichtig, den Blick auf die Ostsee nicht zu verlieren. Das Zeesboot aus dem 19. Jahrhundert steht symbolisch für den langen Wandel in der Schifffahrt. Ich bin sehr froh, dass es einen recht prominenten Platz in den Schiffswelten gefunden hat.
Frankenberg: Mich fasziniert das Forschungsschiff: Die Meereswissenschaften gehören zu den interdisziplinärsten und dennoch ist klar, dass wir noch ganz am Anfang stehen und der Ozean ein blinder Fleck für uns ist. Und das, obwohl mehr als 70 Prozent der Erde von Wasser bedeckt sind. Wir besitzen dennoch nur punktuelles Wissen, weil das Meer nicht zu unserem Lebensraum gehört. Wir können ans Meer gehen, darauf fahren, aber wir können nicht ohne Weiteres an den tiefsten Punkt im Ozean gelangen oder länger im Wasser sein, weil wir letztlich Landbewohner sind.
Das Gebäude ist durch seine Offenheit besonders und bereits von außen einsehbar, spielte das eine Rolle bei der Umsetzung?
Schilling: Wir haben immer mit dem Gebäude gearbeitet, denn es ist nicht möglich, gegen eine Architektur zu kuratieren. Die Gebäudestruktur haben wir als positive Herausforderung begriffen. Es sind weite Blickwechsel möglich. Das durchlässige große Panoramaschaufenster wirkt wie eine Theaterbühne und lädt bereits von draußen zum Entdecken ein.
Frankenberg: Das Bangert-Gebäude ist durchaus besonders. Es hat gleichzeitig etwas von einer großen Bootshalle und einer Kathedrale. In jedem Fall wird man ehrfürchtig. Die große Fensterfront bietet Diffusion nach draußen und ist bereits ein Teaser für das, was Gäste drin erwartet. Schön wäre, wenn das Innen sich noch mehr im Außenraum fortsetzt. Die lokale Nähe zum Meer ist übrigens genial und einzigartig. Wo bekommt man mehr Lust darauf, die Welt der Ozeane und Schiffe zu entdecken als im DSM, direkt hinter dem Deich?
Gab es die Möglichkeit, sich als Museumsfan an der Gestaltung zu beteiligen?
Schilling: Partizipation ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Ohne die unzähligen Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen beziehungsweise Expertinnen und Experten diverser Gebiete hätten wir beispielsweise die Themen Walfang und Fischfang nicht mit so vielen aktuellen Fakten unterfüttern können. Auch unser Anspruch auf Inklusion und Barrierefreiheit lässt sich nur mit Anregungen von Testpersonen der Zielgruppe umsetzen. Um die Medienstationen zu testen, haben wir ebenfalls die Bevölkerung aufgerufen, uns zu unterstützen. Zudem war die neue Dauerausstellung immer wieder Thema in Seminaren und Vorlesungen, die ich an den Universitäten in Bremen und Oldenburg halte. Der Austausch mit den Studierenden brachte spannende Gesichtspunkte.
Frankenberg: Im Zusammenhang mit der Dauerausstellung ist auch die App Hafen-Helden entstanden, die Teenager und junge Erwachsene anspricht. Diese wurde ausführlich an Schulen in Bremerhaven getestet, das war sehr bereichernd.